F1-Tagebuch GP Monaco 2018

In ihren Grand Prix-Tagebüchern liefern die auto motor und sport-Reporter persönliche Eindrücke vom Arbeitsalltag an einem Formel 1-Wochenende. In Folge 6 berichtet Andreas Haupt darüber, was hinter den Kulissen beim GP Monaco los war.
Monaco, das Glitzerrennen der Formel 1. Es ist mein erstes Mal. Mein Fazit nach einer Grand-Prix-Woche: Monaco fasziniert und nervt mich zugleich. Zuerst das Positive: Die Strecke ist einzigartig. Wir erleben es am Rennsonntag. Daniel Ricciardos Red Bull fehlen ohne Elektroschub 160 PS. Und trotzdem gewinnt der Australier. Weil er sich in seinem RB14 breit macht wie ein Bus. Das ist nur in Monte Carlo möglich. Auf allen anderen Strecken wäre Ricciardo von Sebastian Vettel und Lewis Hamilton geschluckt worden.
Es gibt manche, die die Bedeutung des Qualifyings stört. Ich finde: Genau das hat seinen Reiz. Es muss Strecken geben wie Belgien, auf denen der Startplatz wenig wert es. Und es muss solche geben, auf denen der Startplatz mehr als die halbe Miete ausmacht. Dann zählt eben die eine schnelle Runde, in der alles passen muss.
Fahrerlager klein und beengend
Monaco verzeiht keine Fehler. Max Verstappen bekommt es zu spüren. Acht Minuten vor Ende des dritten Trainings begräbt er seine Siegambitionen in der Leitplanke. Doktor Marko grantelt. „Das darf ihm nicht passieren.“ Ich kenne dieses Gefühl nur von der Playstation. Auf der Konsole treffe ich fast in jeder Runde irgendwo die Leitplanke. Was macht Monaco sonst aus? Die sündhaft teuren Yachten im Hafen. Die leistungsgewaltigen Supersportwagen, die in den engen Gassen nicht einmal ein Fünkchen ihres Leistungspotentials abrufen können. Was für ein Widerspruch.
Die negativen Aspekte, die Kehrseite: Das Fahrerlager ist ein Nadelöhr: wenig Platz, viele Gäste und Promis. Die Teams müssen die Reifen außerhalb lagern. Die Formel 2 schlägt ihr Lager in einem Parkhaus auf. Ich weiß, das gehört dazu und macht dieses Rennen auch so schillernd. Es nervt aber, wenn man von Red Bulls Energy Station zurück ins Fahrerlager möchte, und am Drehkreuz eine gefühlte Ewigkeit warten muss, obwohl man keine Zeit dafür hat. Oder wenn man auf der Anfahrt zur Strecke nur eine Minute verliert und der Formel-2-Tross deshalb schon auf dem Weg in die Box tuckert – dann muss man eine Ehrenrunde drehen.
Genug genörgelt: Auf keiner anderen Strecke dieser Welt kommt man den Autos so nah wie im Fürstentum. Normalerweise sehe ich sie aus dem Pressezentrum. Diesmal brauche ich keine fünf Minuten, um das dritte Training hinter der Leitplanke an der Strecke zu sehen. Ein Irrsinn, mit welchem Tempo die Fahrer in der Schwimmbad-Schikane um die Ecke bolzen. Geschwindigkeit in Reinform. Leider muss ich 15 Minuten vor Trainingsende zurück ins Pressezentrum, um den Trainingsbericht vorzubereiten.
Nissan GT-R vs. Renault Grand Scénic
Schon die Anreise ist ein Erlebnis. Am Pfingstmontag treffe ich mich mit Michael Schmidt im Redaktionsgebäude. Kurz vor unserer Abfahrt gegen 10:45 Uhr kommt uns sport auto-Chefredakteur Marcus Schurig entgegen, der am Feiertag noch ein Beileger-Heft zu Le Mans zunageln muss. Sein Testwagen: ein Nissan GT-R Nismo mit 600 PS. Schmidt und ich fahren in einem Renault Grand Scénic nach Monaco. Die ersten Stunden darf ich auf dem Beifahrersitz sitzen. In Zürich muss ich nach hinten. Reporterlegende Roger Benoit steigt zu. Schmidt und Benoit: Diese Anekdoten aus über 30 Jahren Formel 1 sollten sie mal hören.
Unsere Reiseroute führt uns über den großen St. Bernhard. Ein sechs Kilometer langer Tunnel für 26 Euro: Das sind gesalzene Maut-Preise. Beide steigen in einem gehobenen Hotel in Menton ab. Das liegt noch in Frankreich, etwa eine halbe Autostunde vom Fahrerlager entfernt. Für mich bleibt die Mittelklasse in Menton. 5. Stock, blauer Teppichboden, 1,40 Meter breites Bett, Balkon. Hört, hört, sogar mit einem Miniausschnitt vom Mittelmeer – der feine Herr spricht von Mittelklasse.
Monaco begrüßt uns mit vereinzeltem Regen. Zwischendurch wird das Wetter besser, die Sonne strahlt. Eine Stunde vor Rennbeginn tröpfelt es, allerdings nur für wenige Minuten. Auf meinen Touren durch den Hafen und durch die Stadt, um die dicken Yachten und dicken Autos zu fotografieren, bleibt es trocken. Kollege Grüner erwartet in der Redaktion hochwertiges Material. Die beiden Artikel zählen zu den meistgeklickten des Jahres.
Die großen Schiffe sind zwar nett anzusehen, üben aber keinen Reiz auf mich aus. Schöne und schnelle Autos dagegen schon. Davon schleichen jede Menge durchs Fürstentum. Beispiele? Ferrari LaFerrari in Camouflage-Dress, Porsche 911 GT3, Lamborghini Aventador Roadster, Audi R8, McLaren 720S. Oder alte Helden vom Schlag Jaguar E-Type Cabrio und Ferrari 365 GTB4. Apropos alte Helden. Thierry Boutsen gewann in seiner Karriere immerhin drei Grand Prix. Wir treffen am Mittwoch vor dem Rennen. Boutsen, dunkelblaues Anzug, blaues Hemd XX, öffnet uns die Türen in seine Firma: Boutsen Aviation: Der Belgier hat sich nach seiner Laufbahn ein erfolgreiches Geschäft aufgebaut. Er verkauft Privatflugzeuge an die Prominenz. „Thierry sieht immer noch genauso aus wie früher“ , sagt Schmidt.
Champions League und Pizza
Schmidt und Benoit holen mich jeden Tag am Hotel ab. Sie müssen dafür nur einen Umweg von zwei Minuten in Kauf nehmen. Ich stehe extra 20 Minuten früher auf, um noch einen Cappuccino am Mittelmeer zu genießen. Energie tanken vor harten Arbeitstagen trotz Preisen von bis zu vier Euro für eine kleine Tasse. Kollege Benoit bekommt einen Cappuccino to go. Die Fahrt zur Strecke ist jedes Mal ein Erlebnis. Kollege Schmidt nörgelt gerne über den Verkehr. Jede rote Ampel ist ein Drama. Sein häufigster Satz: „Wir kommen nie an.“ Ich lache jedes Mal aufs Neue.
Am Samstagabend nach der Qualifikation machen wir Tempo. Ich will das Champions-League-Finale nicht verpassen. Real Madrid ist meine Fußball-Lieblingsmannschaft. Sie spielt gegen den FC Liverpool um Trainer Jürgen Klopp. Ricciardo fährt auf Pole. Wir verpassen die ersten 20 Minuten des Spiels, sehen den Rest in einer Pizzeria von Menton. Real gewinnt.
Über das Rennwochenende hinweg halten sich Gerüchte, Ferrari trickse beim Energiemanagement. Und das bereits seit Baku. Die FIA schaut den Italienern auf die Finger. Ferrari muss die Software anpassen. Die Regelhüter sind zufrieden. Ferraris Power Unit: Sie wird uns noch ein paar Mal in diesem Jahr beschäftigen. Ferrari schafft es, Klassenprimus Mercedes bei der Leistung zu überflügeln.
Das Rennen habe ich bereits angeschnitten. Daniel Ricciardo verteidigt sich meisterhaft und feiert im Anschluss an 78 beinharte Runden eine Pool-Party. Die Abkühlung hat sich der Australier verdient. Sebastian Vettel wird locker Zweiter – ohne Chance, den waidwunden Red Bull ohne MGU-K anzugreifen. Lewis Hamilton fährt auf das Podest und verteidigt auf einer der Mercedes-Angststrecken die WM-Führung. Es ist einer der Schlüssel für den fünften WM-Titel. Hamilton holt selbst aus durchschnittlichen Wochenenden viel heraus.
In unserer Fotoshow geben wir Ihnen einen Einblick hinter die Kulissen des GP Monaco 2018.