Neue Rennwagen unter der Lupe
Ferrari war das letzte Team, das sein neues Formel-1-Auto für 2021 präsentiert hat. Trotz Geheimniskrämerei lassen sich bereits einige Trends und Detailänderungen erkennen. Wir haben Auto für Auto unter die Lupe genommen.
Es ist das erste Mal, dass die Vorstellung der neuen Formel 1-Autos komplett im Netz stattfand. Wegen der Corona-Krise blieben die Bühnen geschlossen. Der Vorhang fiel nur virtuell. Das Ergebnis der digitalen Autoshow ist natürlich nicht mit den analogen Veranstaltungen früherer Jahre zu vergleichen. Der Abstand zum Publikum machte es einfacher, die Dinge zu verbergen, die man verbergen wollte.
Red Bull hielt Fotos vom echten Auto vollständig unter Verschluss. Alpha Tauri hätte das auch gerne gemacht, wurde aber von Zaungästen in Imola kalt abgeschossen. Alpine gab exakt vier Fotos vom Probelauf in Silverstone frei. Keines davon zeigte das komplette Auto. Mercedes brachte über der Kante am Unterboden extra eine Sichtblende an, um keinem Einblick darauf zu geben, wie die Aerodynamiker auf die neuen Technikregeln reagiert haben. Nur Alfa Romeo und Aston Martin spielten halbwegs mit offenen Karten.
Was versteckt Mercedes?
Ein genauso großes Geheimnis wird um die Token gemacht. Was eigentlich ziemlich sinnlos ist, weil jeder schon seine Token gezogen hat und deshalb nicht mehr reagieren kann. "Wir sagen nichts, weil wir es immer so gehalten haben", gibt Alpine-Chefingenieur Pat Fry lapidar zur Antwort.
Einige Teams konnten die gewählten Token nicht verbergen. McLaren musste sie wegen des Motorwechsels beim Chassis nehmen. Alfa Romeo und Alpha Tauri operierten für alle sichtbar an der Nase. Ferrari und Renault geben immerhin zu, dass sie im Heck Entwicklungsspielraum beantragt haben. Davon betroffen sind vermutlich Getriebe und Hinterachse. Aston Martin löste seine Token beim Chassis ein. Bei Haas ist der Fall einfach: "Wir haben gar keine Token genommen."
Red Bull schweigt. Die Computergrafiken deuten auf eine geänderte Geometrie der Hinterachse hin. Aber das muss nichts heißen. Kein Mensch weiß, wie viel Fake in den veröffentlichten Bildern steckt. Mercedes machte um sein Freilos ganz offiziell ein großes Geheimnis. "Das wir schon noch rechtzeitig klar werden", lässt Technikchef James Allison die Gegner im Unklaren.
Verdächtig ist: Vom Mercedes gibt es bereits Bilder im Original. Und auf denen ist nicht ansatzweise zu erkennen, wo die Ingenieure ihre Token genommen haben könnten. Also ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass sich irgendetwas unter der Verkleidung versteckt. Und möglicherweise auch relevant für 2022 ist. Was das Versteckspiel rechtfertigen würde. Manche mögen sich jetzt daran erinnern, dass Lewis Hamilton im letzten Jahr auf die Frage nach dem Verbot von DAS geantwortet hat, Mercedes habe sich wieder einen schlauen Trick einfallen lassen.
Die Neuheiten im Detail
Das hält uns nicht davon ab, eine erste Zwischenbilanz zu ziehen. Nach dem Test in Bahrain werden wir eine zweite Bestandsaufnahme folgen lassen. Wir beschränken uns in unserer ersten Analyse auf die Dinge, die man sieht und nicht auf das, was man zu sehen glaubt. Auto für Auto gehen wir die Änderungen im Vergleich zum Vorgängermodell durch.
Mercedes
Der Mercedes W12 fällt vor allem durch eine neue Architektur der Seitenkästen auf. Wo der Weltmeister Token investiert hat, ist mit freiem Auge nicht erkennbar.
- Seitenkästen: Sie ziehen sich früher nach innen ein. Gut zu erkennen am Petronas-Schriftzug.
-Motorabdeckung: Die Verkleidung geht auf Höhe der oberen Querlenker der Hinterachse in die Waagrechte über und ist dort breiter als im Vorjahr. Dafür zieht sich die Motorabdeckung darunter viel stärker ein, so dass man sich auf dem Boden die Fläche zurückholt, die das Reglement außen gestohlen hat.
-T-Flügel: Die Endplatten sind weiter nach unten gezogen.
-Bremsbelüftungen vorne: Tiefer montiert, oben schmaler, unten breiter, weiterhin mit sechs Kanälen
-Vorderachse: Der vordere untere Querlenker hat ein breiteres Flügelprofil. Die Spurstange ist weiter Teil des Aufhängungsarms.
-Bügelflügel: Die Verlängerung der Crashstruktur biegt stärker nach unten ab.
-Boomerang-Flügel: Kürzer und breiter, am Chassisansatz mit vertikalem Leitblechen.Red Bull
Auf ein echtes Foto des RB16B warten wir noch. Die Computergrafik zeigt nur, was Red Bull unbedingt zeigen wollte. Also nicht viel.
- Hinterachse: Die Querlenker wurden nach hinten versetzt, so dass der Pullrod frei vor allen Aufhängungselementen liegt. Der hintere untere Querlenker ist dabei vermutlich wie beim Mercedes an der hinteren Crashstruktur befestigt, was es den Ingenieuren erlaubt, den Diffusor in dem Bereich stärker anzustellen.
-Heckflügel: Er steht auf einer Stelze statt auf zwei wie bei den ersten 15 Rennen der Saison 2020.
-Motorabdeckung. Ähnlich dem Mercedes beult Red Bull die Verkleidung im oberen Bereich aus, um sie unten schlanker zu gestalten.
-Unterboden: Vorne stehen fünf vertikale Finnen quer, hinten eine längs.
-Kapuzenflügel: Der sogenannte Cape Wing unter der Nase wurde leicht nach hinten versetzt.
-Bremsbelüftungen vorne: Unten schmaler, mit nur noch fünf statt sechs Kanälen.
-Leitbleche vor den Seitenkästen: Neue Zacken auf den vertikalen Finnen.McLaren
Die größte Änderung zog McLaren vor. Die neue schlankere Nase debütierte schon in Mugello 2020. Die Token am MCL35M gingen für den Motorwechsel von Renault zu Mercedes drauf.
-Seitenkästen: Die Verkleidung folgt den Innereien in einer Wellenform.
-Motorabdeckung: Breiter als vorher, um den neuen Mercedes-Motor aufzunehmen. Die Motorverkleidung geht gleich beim Halo-Ansatz in die Horizontale über. Deshalb fehlt die große Beule, die wir beim Mercedes und Aston Martin gesehen haben.
-Kühlrippen: Neben dem Cockpit wird heiße Kühlluft über sieben gefächerte Öffnungen abgelassen.
-Rückspiegel: Die Spiegelhalterungen sind weiter innen am Cockpit montiert.
-Heckflügelendplatten: Neu sind die horizontalen Lamellen.
-Airbox: Drei statt vier Einlässe.Aston Martin
Der Aston Martin AMR21 erinnert in seinen Grundzügen an den Mercedes W11 aus dem Vorjahr. Die Unterschiede liegen in Detaillösungen. Dank der grünen Farbe sieht man die Konturen des Autos besser als bei dem schwarz lackierten Mercedes.
-Seitenkästen: Die kantige Kontur des RP20 der zweiten Saisonhälfte 2020 ist verschwunden. Der Schwung der Seitenteile erinnert an den Mercedes W11 von 2020.
-Motorabdeckung liegt enger an. Deshalb tritt die Beule im Motorbereich stärker zur Geltung.
-Kühleinlass: Kreisrund statt oval.
-Crashstruktur: Der obere Holm der Crashstruktur wanderte nach unten.
-Leitbleche vor den Seitenkästen: Der vertikale Teil ist innen dreiteilig statt durchgängig und außen zweiteilig.
-Unterboden: Aufwendiges Design an der Außenkante mit drei und zwei Ebenen übereinander, einem starken Cutout von 50 Zentimeter Länge und insgesamt zwölf vertikalen Strömungsausrichtern vorne wie hinten.
-Frontflügel: Der obere Flap bekam eine neue Form.Alpine
Die Alpine-Ingenieure haben mit ihrem Seitenkasten-Konzept des A521 einen neuen Weg bestritten. Als einziger Hersteller hat Renault seinen Motor nur modifiziert. Der Schuss könnte nach hinten losgehen.
-Seitenkästen/Motorabdeckung: Das komplette Auto wurde ab den Kühleinlässen nach hinten schmaler. Um vor allem unten Breite einzusparen, wölbt sich die Verkleidung oben weiter nach außen.
-Kühleinlässe: Die Briefkastenschlitze sind noch schmaler als im Vorjahr.
-Leitbleche: Auf dem Plateau vor den Seitenkästen stehen pro Seite sechs Finnen, in zwei Reihen gestaffelt.
-Unterboden: Auch beim Alpine stehen drei Strömungsausrichter im vorderen Bereich des Bodens.
-Airbox: Der Haupteinlass ist schmaler.
-Frontflügel: Die Flaps sind innen weiter nach unten gezogen.
-Hinterachse: Im Mercedes-Stil. Vermutlich wurden dafür das Getriebegehäuse und die Crashstruktur geändert.
-Bügelflügel: Die seitliche Crashstruktur erhielt einen neuen Schwung.Ferrari
Ferrari sucht sein Heil nicht in einer dünneren Nase, sondern einem schlankeren Heck. Dafür wurde das Getriebegehäuse des SF21 neu konstruiert und das Getriebe mit dem Motor mit nur noch vier statt bislang sechs Bolzen verbunden.
-Nase: Die Nase selbst ist gleich, die Anbindung an den Kapuzenflügel viel eleganter.
-Kapuzenflügel: Der Flügel unter der Nase beginnt weiter vorne und hört weiter hinten auf.
-Vordere Bremsbelüftungen: Schlanker, eckiger und etwas tiefer montiert.
-Chassis: Auf Höhe der Vorderradaufhängung wachsen links und rechts jeweils vier Finnen.
-Airbox: Der Überrollbügel blieb natürlich unverändert. Doch die Verkleidung drum herum ist nun rundlicher. So schafft Ferrari vier statt bisher zwei Luftkanäle.
-Kühleinlass: Der Einlass bekam eine komplett neue Form. Die Rundung außen macht jetzt eine Welle.
-Seitenkästen: Ein Mix aus Red Bull (vorne) und Mercedes (hinten). Der radikalere Einzug schafft mehr Fläche auf dem Boden.
-Crashstruktur: Die seitliche Crashstruktur wird außerhalb der Kühleinlässe nicht mehr kontinuierlich mit einem Schwung nach unten weitergeführt. Der äußere Teil, der nur aus Verkleidung besteht, liegt eine Stufe tiefer.
-Bügelflügel: Der Flügel oberhalb der Kühleinlässe hat mehr Schwung, ist mit zwei vertikalen Abweisern versehen und hat zum vertikalen Teil außen einen größeren Abstand.
-Vorderradaufhängung: Die Verkleidung des oberen Querlenkers und der Spurstange wurde neu gestylt.
-Getriebe/Hinterradaufhängung: Um die unteren Querlenker der Hinterachse anzuheben, wurde ein neues Getriebe gebaut. Das gibt mehr Freiheit beim Anstieg des Diffusors.Alpha Tauri
Der echte Alpha Tauri AT02 sieht anders aus als der auf den Computergrafiken. Das zeigen Spionage-Fotos vom Shakedown in Imola. Die neue Nase fällt komplett aus dem Designschema von Red Bull und seinem Schwesterteam.
-Nase: Schmaler und an der Spitze ohne die Crashtest-Knolle. Die Kante am Übergang zum Chassis fällt extremer aus.
-Vorderradaufhängung: Die Spurstange wurde wie beim Red Bull nach hinten gerückt.
-Bügelflügel: Die horizontale Fläche ist mit der vertikalen nicht mehr verbunden. Der vertikale Teil läuft nach unten neuerdings in einer gefächerten Fläche aus.
-Motorabdeckung: Einzug im Heck stärker ausgeprägt. Damit kommt die Ausbuchtung darüber zum Abdecken der Querlenker der Hinterradaufhängung stärker zur Geltung.
-Boomerang-Flügel: Vier Zacken sind auf dem Flügel platziert.
-Leitbleche vor den Seitenkästen: Neu sind zwei vertikale Bleche, die durch fünf horizontale Stege verbunden sind.Alfa Romeo
Der Schweizer Rennstall investierte seine Token in eine neue Nase. Der Rest des Sauber C41 ist eine Antwort auf die neuen Aerodynamikregeln, sieht seinem Vorgänger aber immer noch ähnlich.
-Nase: Dezent schlanker und rundlicher mit neuem Nasenloch und einer geänderten Luftführung zum Kapuzenflügel.
-Frontflügel: Das erste Hauptblatt ist am Übergang zwischen genormten und unreglementierten Teil stärker geschwungen. Das zweite Hauptblatt versteckt sich hinter dem ersten. Die unteren Flaps sind breiter, die oberen schmaler.
-Bremsbelüftungen vorne: Die Kühlschächte fallen schlanker aus.
-Seitenkästen: Die Verkleidung fällt hinter dem Kühleinlass stärker ab.Haas
Haas konzentriert sich voll auf 2022. Der US-Rennstall verzichtete auf seine Token und passte die Aerodynamik nur den neuen Regeln an. Die größten Änderungen am Frontflügel und der Motorabdeckung des VF-21 werden erst für den Grand Prix fertig.
-Frontflügel: Der Flügel bekommt bis zum GP Bahrain neu angeordnete Elemente.
-Seitenkästen/Motorabdeckung: Wegen des neuen Ferrari-Motors, der neuen Position des Ladeluftkühlers und einer geänderten Kühleranordnung musste die Verkleidung angepasst werden. Auch sie wird erst am Rennwochenende präsentiert.Williams
Der neue Williams FW43B erfindet das Rad nicht neu. Es ist eher eine moderate Weiterentwicklung als ein neues Auto. Das WM-Schlusslicht beschränkte sich auf einen Token, den man bereits 2020 gezogen hat.
-Frontflügel: Das Hauptblatt ist am Übergang zwischen normierten und freiem Teil anders gebogen. Die oberen beiden Flaps sind innen stärker nach unten gezogen. Das positioniert den Y250-Wirbel neu.
-Motorabdeckung: Mehr Bauch Richtung Heck.
-Bügelflügel: Horizontales und vertikales Blech sind jetzt miteinander verbunden.
-Heckflügel: Endplatte mit Luftabweisern.