Groundeffect, CVT, Fric, F-Schacht
Gute Ideen in der Formel 1 hatten oft nur eine kurze Halbwertzeit. Groundeffect, aktive Aufhängung, CVT, Fric, F-Schacht, Massedämpfer, alles wurde über kurz oder lang von der Sportbehörde verboten. Nur Erfindungen für die Sicherheit hatten Bestand.
Ist die Zeit der großen Erfindungen abgelaufen? Wir haben Adrian Newey dazu befragt. „Im Prinzip ja“, antwortet uns der Star-Konstrukteur von Red Bull. „Natürlich hast du immer den Ehrgeiz, ein Schlupfloch zu finden oder die Angst, dass es ein anderer findet. Es ist heute sehr unwahrscheinlich, ein Design zu finden, das alles auf den Kopf stellt. Im Vergleich zu den 70er Jahren gibt es da mehrere Gründe. Damals gab es ein simples Regelbuch. Vielleicht fünf Seiten stark. Es gab nur kleine Teams mit zwei bis drei Designern und sehr simplen Werkzeuge. Sie hatten die große Freiheit vom Reglement, aber sehr limitierte Ressourcen. Sie mussten also alles im Kopf erfinden.“
Für einen wie Newey ist die Überregulierung Frust statt Lust: „ Die Herausforderung liegt heute darin, clevere Lösungen für kleine Bereiche zu finden. Da hat sich eine ganze Industrie entwickelt, die nach Schlupflöchern fahndet. Die Regelhüter mögen das nicht. Deshalb werden die Schlupflöcher mit einer gewissen Verzögerung wieder gestopft. Wir sind heute sehr restriktiv mit den Regeln, um den Speed der Autos zu kontrollieren. Andererseits lassen wir bei den Ressourcen sehr viel zu. Ich bin happy, dass ich in diesem Geschäft arbeiten durfte, in einer Zeit, als es noch nicht so streng reglementiert war.“
Verbot betraf die Flügel
Gute Ideen liefen allerdings auch schon früher Gefahr verboten zu werden. Ab Mitte der 70er Jahre versuchte die FIA, die Autos einzubremsen oder Entwicklungen aufzuhalten, die am Ende zu viel Geld gekostet hätten. Ferrari tauchte 1968 in Spa erstmals mit Flügeln am Auto auf. Die Leitwerke wurden im Zweiwochen-Rhythmus immer größer und höher. Sie waren teilweise mit den Radaufhängungen verbunden oder über Seilzüge verstellbar, um die Flügel auf der Gerade flach zu justieren und in den Kurven anzuwinkeln. Nachdem beim GP Spanien 1969 beide Lotus nach Flügelbrüchen in der Leitplanke gelandet waren, führte die FIA beim nächsten Rennen eine Höhenbeschränkung ein und verbot jeglichen Verstellmechanismus.
Als Tyrrell 1976 mit seinem Sechsradler auftauchte, da entstand im Handumdrehen die Hysterie, das Sechsrad-Prinzip könnte am Ende die richtige Lösung sein. March und Williams bauten Autos mit vier Rädern an der Hinterachse. Der Verband bereitete dem Treiben bald ein Ende. Mehr als vier Räder wurden verboten. Der Brabham-Staubsauger überlebte nur ein Rennen. Man konnte den Ventilator als bewegliches aerodynamisches Hilfsmittel interpretieren. Und für das galt seit 1969 bereits der Bannstrahl.
Die Groundeffect-Autos mit ihren seitlichen Schürzen wurden über mehrere Etappen eingebremst. Zuerst mit einer Mindest-Bodenfreiheit, dann mit starren Schürzen, schließlich ab 1983 mit der Vorschrift eines flachen Unterbodens. Der hat bis heute Bestand. Erst 2021 soll wieder ein Flügelprofil unter dem Auto erlaubt sein. Natürlich ohne Schürzen. Die Abdichtleisten werden heute ohnehin durch Generieren von Luftwirbeln ersetzt. Das Doppelchassis von Lotus kam erst gar nicht zum Einsatz. Lotus-Chef Colin Chapman wollte so 1981 das Reglement austricksen.
CVT nur auf der Teststrecke
Ende der 80er Jahre wurden aktive Aufhängungen populär. Lotus hatte damit angefangen, Williams den Gedanken perfektioniert. 1993 waren fast alle Autos mit irgendeiner Form von Niveauregulierung unterwegs. Dazu mit ABS, Traktionskontrolle und einer Startautomatik. Benetton brachte sogar eine Vierradlenkung. Das war für die FIA das Zeichen, den Fahrhilfen den Garaus zu machen. Für 1994 wurde alles verboten. Auch in dieser Epoche gab es eine Entwicklung, die es gar nicht bis zu einem Rennstart schaffte. Williams baute zusammen mit der holländischen Firma Vandoorne ein stufenloses Getriebe. Die CVT-Kraftübertragung blieb auf Wunsch der FIA ein Testträger.
Die Regulierungswut der Funktionäre richtete sich nicht nur auf bestimmte Technologien. Auch Materialien schafften es auf den Index. 2001 wurde der Werkstoff Beryllium, den Ferrari einst in der Formel 1 für Bremssättel salonfähig machte, ausgerechnet auf Betreiben von Ferrari gestrichen. Der Hintergrund: Beryllium-Kolben waren lange eines der Geheimnisse des Mercedes-V10. Ohne den Wunderstoff stagnierte die Leistung des Mercedes-V10 bei 820 PS. Auch Radträger aus faserverstärkten Metallen, im Fachjargon MMC genannt, fielen irgendwann aus dem Raster. Zu teuer, argumentierte die FIA.
Ende 2005 erfand Renault den Massedämpfer. Die Konkurrenz bekam erst 2006 davon Wind. Die Ingenieure unter der Leitung von Bob Bell nutzten vorne und hinten eine Schwungmasse, um das Auto beim Ein- und Ausfedern zu beruhigen. Das hielt die Aerodynamik effizienter im optimalen Fenster und reduzierte den Reifenverschleiß. Renaults Geheimwaffe wurde 2006 mitten in der Saison verboten. Sie wurde als bewegliches aerodynamisches Hilfsmittel eingestuft. McLaren hatte gezündelt, Ferrari machte im Hintergrund Politik. Alles, was Renault schadete, war gut für die eigenen WM-Chancen.
F-Schaft überlebte ein Jahr
Der Doppeldiffusor von BrawnGP schaffte es trotz wütender Proteste der Konkurrenz bis auf die Rennstrecke. Er half dem Neuling, den Titel zu gewinnen. Ein Jahr später nutzte Red Bull das Prinzip, gegen das man 2009 noch vehement gekämpft hatte zu seinem Vorteil. Der Kanal über dem Zentraltunnel wurde erst Ende 2010 auf den Index gestellt. Red Bull hatte längst eine neue Idee ausgegraben. Den angeblasenen Diffusor. Newey legte das Auspuffrohr so in den Unterboden, dass der Auspuffstrahl direkt auf die Spalte zwischen Bodenplatte und Hinterrad zielte und so den Diffusor seitlich versiegelte.
Renault programmierte die Motorsoftware derart, dass der V8 auch beim Gaswegnehmen Auspuffgase produzierte. Das sorgte für gleichbleibend hohen Abtrieb an der Hinterachse. Die FIA versuchte 2012 dem Spuk dadurch ein Ende zu bereiten, dass man die Lage des Endrohrs und seine Zielrichtung festlegte. Nämlich nach oben. Das war aber nicht von Erfolg gekrönt. Die Ingenieure nutzten den Coanda-Effekt und dirigierten die Auspuffgase über einen Schacht wieder nach unten. Erst 2014 konnten die Auspuffgase nicht mehr entscheidend für die Aerodynamik genutzt werden. Es gab nur noch einen Auspuff, und der musste zentral unter dem Heckflügel münden.
McLaren brachte 2010 eine Erfindung an den Start, die auf das Wort F-Schacht hörte. Damit war ein pneumatischer Schalter gemeint. Der Fahrer schloss oder öffnete auf der Geraden mit dem Fuß, dem Knie oder der Hand eine Schleuse, was dazu führte, dass vorne angesaugte Luft über einen Schacht auf den Heckflügel geblasen wurde. Mit dem Ziel, dass dort die Strömung abriss. Das brachte bis zu 10 km/h auf der Geraden oder 0,6 Sekunden auf der Uhr. Als es zu viele Nachahmer gab, wurde der Trick am Ende der Saison verboten.
Im Fahrwerksstreit war FIA zweiter Sieger
Die vernetzte Aufhängung, die unter dem Kürzel Fric Einzug in das Formel 1-Vokabular hielt, wurde ab dem GP Deutschland 2014 als aerodynamisches Hilfsmittel eingestuft und war damit illegal. Die hydraulische Verbindung zwischen den vier Dämpferelementen sollte die Wank- und Nickbewegungen des Fahrzeugs beim Bremsen und Beschleunigen reduzieren. Der Versuch, mit dem Verbot dem Klassenprimus Mercedes zu schaden, ging nach hinten los.
Was die Ingenieure in ihrem Erfindergeist nicht bremste. Sie speicherten Energie in den Hydraulik-Elementen, um bei Bedarf die Fahrzeugbewegungen zu manipulieren. Die FIA hinkte dem Wettrüsten immer ein Jahr hinterher. Erst auf einen Tipp von Ferrari hin, zwang die FIA 2016 Mercedes, Red Bull und McLaren ihre „ intelligenten Fahrwerke“ auszubauen. Auch das Vorheizen der Hydraulikelemente durch geschicktes Platzieren der Aktuatoren in der Nähe von Ölleitungen war nach gezielten Indiskretionen aus Kreisen der Teams Geschichte.
Dann war es ausgerechnet Ferrari, die beim Fahrwerk das Rad ein Stück weiterdrehten. Der Pushrod wurde nicht mehr mit dem unteren Dreieckslenker, sondern direkt mit den Radträgern verbunden. Beim Lenken bewegte sich die Verbindung an der Druckstrebe mit. Je nachdem wie die Verbindung ausgelegt war, konnte man es so einstellen, dass sich die Höhe des Autos an der Vorderachse änderte oder auch nicht. Das führte 2017 zu immer extremeren Fahrwerksgeometrien. Die FIA schaute nicht lange zu. 2018 vergatterten die Regelhüter alle Teams dazu, ihnen eine genaue Dokumentation des Lenkeffekts auf die Bodenfreiheit an der Vorderachse bereitzustellen. Die Teams mussten den Nachweis führen, dass dieser Effekt natürlich und nicht verstärkt ist. Toleriert wird seitdem ein Absenken der Bodenfreiheit um 5 Millimeter bei einem Lenkeinschlag von 12 Grad, so wie er in engen Kurven auftritt.
Auch für 2019 steht ein Verbot bereits vor der Saison fest. Das Durchleiten der Luft durch die Radnabe der Vorderachse ist nicht mehr gestattet. Man will so verhindern, dass noch mehr schlechte Luft außen um das Auto herum geleitet wird. Das ist nach Ansichten von Experten einer der Hauptgründe für das Überholproblem. Weil diese turbulente Luft hinter dem Auto wieder zusammenfindet und dort exakt auf den Frontflügel des nachfolgenden Autos trifft.
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