Lauf-Fitness nicht Fahr-Fitness

Nico Hülkenberg bereitet sich aktuell auf den Fall vor, dass Sergio Perez auch am nächsten Wochenende ausfällt. Gleichzeitig bietet sich die Gelegenheit, das turbulente Comeback noch einmal Revue passieren zu lassen.
Der Rennalltag hat Nico Hülkenberg wieder. In der Pause zwischen den beiden Silverstone-Rennen standen für den Ersatz von Sergio Perez mehrere Termine in der Racing Point-Fabrik auf dem Plan. Darunter zweieinhalb Tage im Simulator. Jede Fahrpraxis hilft.
Zumal der Racing Point RP20 für Hülkenberg immer noch ein unbekanntes Wesen ist. Hülkenberg bereitet sich für den Fall vor, dass Sergio Perez weiter ausfällt. Der Mexikaner soll am Mittwoch noch einmal auf Corona getestet werden. Dann wäre die Siebentages-Frist abgelaufen.
Hülkenbergs erstes Rennwochenende in diesem Jahr begann mit einem überraschenden Anruf und endete mit einem Pfennigdefekt im Antrieb. Anders als von Pirelli vermeldet wäre der Rheinländer auf Medium-Reifen gestartet. Ob es für Punkte gereicht hätte, ist schwer zu beantworten. Racing Point hatte am Sonntag nicht seinen stärksten Tag. Lance Stroll landete von Startplatz sechs nur auf Rang neun.
"Lance hatte echt Pech. Er fuhr die ganze Zeit im Verkehr", nimmt Hülkenberg den neuen Teamkollegen in Schutz. "Es wäre echt interessant gewesen zu sehen, welches Tempo bei freier Fahrt möglich gewesen wäre." Auch Racing Point rätselt noch, warum die Autos nach einem guten Start am Freitag jeden Tag an Speed verloren. Entweder hat man nicht richtig auf die fallenden Temperaturen reagiert oder ist generell mit zu viel Abtrieb gefahren.
Noch nicht am Limit
Für Hülkenberg wäre ein Renneinsatz wichtig gewesen. Er hätte dann 52 Runden mehr Zeit gehabt, das Auto und seine Systeme kennenzulernen und Nacken und Schultern zu trainieren. Nach neun Monaten Rennpause waren die Muskeln noch eingerostet. Auch wenn er zuletzt sein Training angezogen hatte und nur noch ein Kilogramm über seinem Idealgewicht liegt.
"Lauf-Fitness ist nicht Fahr-Fitness. Es gibt keine Maschine, auf der du das trainieren kannst. Gerade in den schnellen Kurven spürst du brutal, wie es in dem Bereich des Körpers an dir zerrt. Deshalb war ich auch noch eingeschränkt ans Limit zu gehen, vor allem zwischen Copse und Becketts. Da konnte ich noch nicht so reinhalten wie sonst."
Hülkenberg hofft, dass mit jeder Runde mehr die alte Sicherheit zurückkommt. Der Racing Point fühlte sich für ihn zuerst einmal an wie ein "fremdes Wohnzimmer". Am Ende des Tages ist es zwar auch nur ein Rennauto, aber eben ein ganz anderes als das, was er in den letzten drei Jahren bei Renault gefahren war. Das beginnt schon bei der Sitzposition, die dem Fahrer noch "fremd" vorkam, auch wenn er in dem in der Eile gebauten neuen Sitz relativ komfortabel saß.
Aber wenn es darum geht, diese Autos auf einer Strecke wie in Silverstone am Limit zu bewegen, dann kann jeder noch so kleine Störfaktor Hundertstel kosten. "Deshalb habe ich am Wochenende versucht, mich auf die Grundlagen zu konzentrieren und die ganzen Extras wie zum Beispiel das Feintuning des Differenzials wegzulassen."
Im Racing Point geht die Post ab
Das Wetter tat Hülkenberg keinen Gefallen. Ausgerechnet an seinem Eingewöhnungstag erlebte England mit 35 Grad im Schatten den heißesten Tag des Jahres. Der Wind blies böig über den alten Flugplatzkurs, und das jeden Tag aus einer anderen Richtung. Das wurde schon zum Problem für die Fahrer, die seit den Wintertests in Barcelona ihre Autos kennen. Einen Quereinsteiger trifft es doppelt hart.
"Das Auto ist so anders, seine Vibrationen und Reaktionen so fremd, dass dich jede Kleinigkeit vor neue Aufgaben stellt. Selbst wenn dir für die Qualifikation der Sprit rausgenommen wird. Das gibt dem ganzen Auto eine neue Dynamik, an die du dich auch erst einmal gewöhnen musst." Der erste Eindruck ist trotzdem positiv: "In den Highspeed-Kurven geht mit dem Ding echt die Post ab. Das Auto hat Abtrieb ohne Ende"
Im Verlauf des Trainings hatte Hülkenberg Schritt für Schritt den Abstand zu Stroll verkürzt. Im Q1 fehlte weniger als eine Zehntelsekunde. Unter dem Gesichtspunkt wäre es vielleicht schlauer gewesen, dem Neuling das Experiment mit den Medium-Reifen im Q2 zu ersparen, um ihm auf den Soft-Reifen mehr Sicherheit zu geben. Oder beide Versuche auf den Medium-Gummis zu fahren.
Konstanz hätte da geholfen, auch für den Preis, das Rennen auf den Soft-Reifen starten zu müssen. Die McLaren- und Renault-Fahrer haben gezeigt, dass man auch bei einem Start auf den weichen Reifen noch ordentlich punkten konnte.