Interview mit Gerhard Berger
Gerhard Berger blickt im Interview auf die Formel 1, erklärt, warum er Lewis Hamilton inzwischen auf einer Stufe mit Ayrton Senna sieht und beleuchtet das Stallduell bei Ferrari.
Was sagen Sie als DTM-Chef zur abgelaufenen Formel 1-Saison 2019?
Berger: Die Marke Formel 1 bringt nichts um. Nicht einmal sechs Mercedes-Titel in Folge. Sie ist über so viele Jahre gewachsen, dass sie von allen Fans als Königsklasse akzeptiert wird. Ich habe sogar das Gefühl, dass sie wieder etwas frischen Wind bekommt. Der amerikanische Einfluss wertet das Produkt auf. Die Formel 1 kommt frischer und jünger daher. Als Motorsportfan hoffe ich, dass sie mit ihrem neuen Reglement ab 2021 ins Schwarze getroffen haben. Dass endlich mal wieder ein Team aus dem Mittelfeld an einem guten Tag gewinnen kann. Es ist einfach schlecht, wenn wir immer die gleichen Sieger haben. Das Kernproblem der Formel 1 ist nach wie vor ihre Berechenbarkeit. Hinter Mercedes, Ferrari und Red Bull kommt nichts mehr. Selbst das Podium ist für Teams wie McLaren, Sauber oder Williams heute normalerweise ausgesperrt.
Die Formel 1 fährt ab 2021 die Technik etwas zurück. Kommt Ihnen das aus der DTM bekannt vor?
Berger: Die Formel 1 hat einen anderen Anspruch als die DTM. Sie ist neben der Fahrer-Weltmeisterschaft auch ein Wettbewerb der Konstrukteure. Und da geht es darum, die besten Ingenieure zu belohnen, egal ob in der Aerodynamik, der Elektronik oder beim Motor. Es hat schon seinen Reiz, wenn die besten Fahrer der Welt auf den extremsten Autos der Welt gegeneinander fahren. Das führt aber auch zu immensen Kosten. Ich war im Dezember bei Ferrari auf Besuch und durfte mir die neue Rennabteilung mal anschauen. Da stehst du mit offenem Mund da und glaubst, das Geld wurde abgeschafft. 1.500 Leute arbeiten für zwei Autos. Man kommt sich vor wie in einem Weltraumlabor.
Für den Sieger lohnt sich der Aufwand, weil die Formel 1 auf einer weltweiten Bühne spielt. Doch nur für die Sieger. Am Ende des Tages entscheiden Geld und Ressourcen. Und damit bleiben wenige übrig, die gewinnen können. Und weil es keine Standfestigkeitsprobleme mehr gibt, bleiben auch die Überraschungen aus. Das macht die Show für den Fan schlechter. Das fehlt der Formel 1 im Vergleich zur MotoGP und auch zur DTM. Wir sind gezwungen, das Thema anders anzuschauen. Unsere Teams können nicht 1.500 Mitarbeiter einsetzen. Wir müssen bei der Technik Spielräume verkleinern, in denen sich die Ingenieure austoben dürfen.
Um die Kosten zu senken, haben wir einen extremen Ansatz gewählt. Die Differenzierung in so wenigen Bereichen führt zu einem engeren Feld und auch dazu, dass irgendwann einmal der Fahrer oder die bessere Fahrzeugabstimmung das Zünglein an der Waage ist. Das hören die Marken nicht so gern. Die würden lieber ihre Technik ins Schaufenster stellen. Da haben wir in den letzten Jahren einen guten Kompromiss gefunden. Wir haben uns bei jeder Maßnahme jeweils zwei Fragen gestellt: Macht es die Show besser? Was kostet es? Show besser und billiger: Wird gemacht. Show nicht besser und teurer: Vergessen wir es. Show besser und teurer: Da müssen wir überlegen, ob es sich rechnen kann. Für unsere Plattform ist es das richtige Prinzip.
Ist Lewis Hamilton der beste Fahrer?
Berger: Momentan ja.
Wer wird ihn eher beerben: Max Verstappen oder Charles Leclerc?
Berger: Beerben wird schwierig. Hamilton ist nicht nur der beste Fahrer der Gegenwart. Er ist auf einem guten Weg der Beste aller Zeiten zu werden. Er hat alle Möglichkeiten, Michael Schumacher zu überholen. Ich werde oft gefragt, ob Hamilton so gut wie Senna ist. Gegen den Vergleich habe ich mich lange gewehrt, weil ich Senna gut kannte. Ich habe lange keinen Fahrer gesehen, der die Qualitäten hat, die Ayrton ausgezeichnet haben. Bei Hamilton kann ich jetzt ruhigen Gewissens sagen: Er hat sie. Er ist der erste Fahrer, den ich im gleichen Atemzug mit Senna nennen würde.
Nicht nur wegen der Anzahl der Siege?
Berger: In den letzten zwei Jahren hat Mercedes einige Rennen, vielleicht sogar die Weltmeisterschaften gewonnen, weil Hamilton im Auto gesessen ist. Valtteri Bottas hätte sich da schon schwergetan, die Rolle so zu übernehmen. Hamilton ist auf jeder Rennstrecke, unter allen Bedingungen vorne dabei. Und er hat in den letzten Jahren gelernt, auch einmal Dritter zu werden. Er hat jetzt die Gabe zu erkennen, dass er an bestimmten Tagen mal mit weniger zufrieden sein muss. Dann nimmt er die Punkte mit und sagt sich: Das nächste Rennen gehört wieder mir. Das macht einen Weltmeister aus.
Noch einmal, Verstappen oder Leclerc?
Berger: Die zwei sind grundverschieden. Verstappen ist aggressiver und unberechenbarer. Er ist völlig unpolitisch, sagt, was er denkt, und gleich so laut, dass es jeder hört. Genauso fährt er auch. Leclerc macht den Eindruck, dass er der ruhigere und überlegtere Fahrer ist. Da sehe ich mehr Berechnung, mehr Politik. Wie gesagt, ein komplett unterschiedlicher Ansatz, aber vom Können her auf der gleichen Ebene.
Wird 2020 für Sebastian Vettel das entscheidende Jahr?
Berger: Was ist das entscheidende Jahr? Wir wissen ja nicht, was für ihn persönlich entscheidend ist. Er selbst bestimmt das. Fährt er sein letztes Jahr und will einen guten Abtritt? Will er mit Ferrari noch einmal drei Jahre verlängern? Will er den Leclerc abmontieren? Klar ist, dass er mit Leclerc an der Seite eine harte Nuss zu knacken hat. Doch dem kommt er nicht aus. Egal ob du bei Ferrari, Mercedes oder Red Bull fährst, du hast immer eine harte Nuss neben dir. Das war früher bei den Spitzenteams auch so. Da treffen sich immer zwei Alphatiere, die sich so lange die Köpfe einschlagen, bis einer übrigbleibt. Als ich zu McLaren gegangen bin, habe ich den Senna getroffen. Dem kannst du nicht davonlaufen.
Kann Vettel Leclerc schlagen?
Berger: Im letzten Drittel der Saison hat Vettel gezeigt, dass er das sehr wohl kann. Keine Frage, Leclerc hat die Zukunft vor sich. Er wird sich auch noch weiterentwickeln. Sebastian ist im letzten Stadium seiner Karriere. Aber er hat eine irre Erfahrung, war vier Mal Weltmeister, ist seit fünf Jahren bei Ferrari. Daraus kann er schöpfen und das Draufgängertum des Jungen ausgleichen. Es wird ein interessantes Duell. Den Ausgang traue ich mich nicht vorherzusagen.