Kurt Ahrens im Interview
Kurt Ahrens stand mit Jim Clark am 7. April 1968 beim F2-Rennen in Hockenheim am Start. Im Interview spricht der ehemalige Weggefährte über die Stunden vor dem tödlichen Unfall – auch über den gemeinsamen Besuch im Aktuellen Sportstudio.
Wer hat den TV-Auftritt für das Aktuelle Sportstudio im ZDF mit Jim Clark organisiert?
Ahrens: Martini, der Veranstalter und jemand vom Fernsehen haben das organisiert. Jim musste nicht groß überredet werden. Er hat schon gemerkt, dass er in Deutschland sehr beliebt war. Er wusste, dass er nach einem Fernsehauftritt in Deutschland noch mehr angekommen sein würde als vorher schon. Man hätte ja sonst auch Graham Hill nehmen können. Aber der Jimmy hatte im Vorfeld ziemlich viel PR dafür bekommen, dass er bei den Formel-2-Rennen in Hockenheim mitfuhr. Er war der Wunschpartner des ZDF.
Warum sind Sie mit ihm ins Fernsehstudio gefahren?
Ahrens: Mein Freund Eckhard Schimpf war auch noch mit dabei. Der konnte gut Englisch und musste dolmetschen. Man hat ihm gesagt, dass Clark seinen Lotus nicht ins Fernsehstudio mitnehmen will, weil er Probleme mit dem Auto hatte und daran am Abend noch gearbeitet werden musste. Daraufhin kam der Veranstalter zu mir und sagte: Herr Ahrens, Sie stehen morgen in der ersten Startreihe. Es wäre schön, wenn Sie als Zusatz mit ihrem Brabham mit ins Studio kommen könnten. Das habe ich unserem Boss erzählt, dem Herrn Goppert von Martini. Der meinte, das komme gar nicht in Frage. Nur wenn die Reklame dranbleibt. Wir wussten aber alle, dass Alkoholwerbung im Fernsehen nicht gezeigt werden darf. Dann haben der Veranstalter und Herr Goppert eine halbe Stunde mit dem Fernsehen verhandelt. Man hat sich schließlich geeinigt, dass die Aufkleber am Auto zugeklebt werden. Am Overall blieb der Martini.Sticker dran. Ich durfte aus dem Auto aber nicht aussteigen. Natürlich war ich begeistert. Das Auto wurde dann von meinem Mechaniker Hansi Gesk für das ZDF.Sportstudio nach Wiesbaden gebracht. Jim Clark, Eckhart Schimpf und ich sind separat mit dem Auto ins Studio gefahren.
Welches Auto?
Ahrens: Wir sind mit meinem Auto gefahren. Ein Mercedes 280 3,5 Liter. Schimpf und ich vorne, Clark auf dem Rücksitz. Eckie hat sich mit ihm viel unterhalten. Ich kannte Clark nur flüchtig von den Rennen in Silverstone oder Thruxton. Unterhalten haben wir uns nie, weil ich kein Englisch sprach. Er war ja auch sehr zurückhaltend. In den Rennen habe ich ihn selten gesehen. Entweder war er zu schnell oder ich zu langsam. Graham Hill kannte ich besser, weil der öfter Formel 2 fuhr. Wir sind so um 19 Uhr in Hockenheim direkt aus dem Fahrerlager losgefahren. Beide im Overall. Das wollte das Fernsehen so. Die Sendung ging ja erst um 21.55 Uhr los. Wir sind dann aber gar nicht gleich drangekommen, weil auch noch der Tennisspieler Wilhelm Bungert Studiogast war. Und der war zuerst dran. Wir saßen im Vorraum und haben gewartet bis das Kommando kam. Das einzige, was ich mir nicht mehr erklären kann, wann wir uns nach der Sendung in normale Kleidung geworfen haben. Im Adlerstübchen sitzen wir später mit Schlips und Kragen.
Wie lief der TV-Auftritt?
Ahrens: Der Anfang war etwas peinlich. Ich musste ja im Auto sitzen bleiben und Jim Clark sollte meinen Brabham mit mir drin ins Studio schieben. Als wir drin waren, sagt der Moderator zu mir: Herr Ahrens, haben Sie Ihren Mechaniker mitgebracht. Der Gag kam nicht wirklich an. Ich war echt entsetzt, dass er den Weltmeister so begrüßt. Mir hat er zur Pole Position gratuliert, was aber auch nicht stimmte. Dann ging diese Fragerei los. Das Schlimmste war, als er von Clark wissen wollte, was er so verdient. Das gehörte da wirklich nicht hin. Jimmy ist darauf nicht groß eingegangen. Er war ja sehr scheu und hat da auch sehr zurückhaltend geantwortet. Ich wusste nicht, ob er wegen der Frage beleidigt war. Dann sollte er auch noch mein Auto erklären. Was er natürlich nicht konnte. Er fuhr ja einen Lotus. Nach unserem Auftritt dauerte es noch eine halbe Stunde, bis wir weg konnten. Es war schon Mitternacht. Von dort ging es mit allen Gästen und der TV-Crew ins Adlerstübchen. Das war so Brauch. Wir mussten uns auf einer Scheibe mit einem Autogramm verewigen. Die war gerade frisch gestrichen geworden, so dass unsere Unterschriften die ersten waren. Da gibt es ein Foto davon. Das habe ich bis heute in meiner Brieftasche. Dann brachte der Wirt einen Maßkrug mit einem Getränk mit Schaum oben drauf. Jimmy hat das Ding in die Hand genommen und gelacht. Man hat ihm vorher gesagt, dass da kein Alkohol drin ist. Es sah nur so aus. Sie wussten ja, dass wir noch Auto fahren mussten. Insgesamt sind wir dort eine gute Dreiviertelstunde dort gesessen. Einfach dummes Gequatsche. Wir konnten uns ja nicht einfach so davonstehlen.
Wie lief die Heimfahrt?
Ahrens: Bei der Heimreise war tote Stimmung. Da wurde praktisch nichts mehr geredet. Wir haben richtig Stoff gegeben. Es war kaum Verkehr nach Mitternacht. Und wir wollten ins Bett. Der Mercedes war von AMG getunt und ging wie Schmidts Katze. Doch plötzlich hörten wir ein Geräusch, und die Leistung ließ schlagartig nach. Wir wussten sofort, dass es da ein Lager erwischt hat. Dann sind wir mit 30 km/h zur nächsten Tankstelle bei Pfungstadt. Wir brauchten dringend Öl, hatten aber kein deutsches Geld in der Tasche. Jimmy sagte, dass er noch Dollar dabei habe. Der Tankwart wollte aber die fremden Scheine nicht annehmen. Wir haben versucht ihm zu erklären, dass da Jim Clark im Auto ist und dass wir vom Sportstudio kommen. Das hat ihn aber nicht beeindruckt. Er hat nur gesagt: Wenn das Jim Clark ist, dann bin ich Cassius Clay. Er hat sich erst erweichen lassen, als wir ihm das Dreifache in Dollar hingelegt haben.
Wie sind Sie dann noch nach Hockenheim gekommen?
Ahrens: Mit drei Liter frischem Öl ging es auch nicht viel besser. Es war eigentlich nur eine Sicherheit, dass nicht noch mehr kaputtgeht. Wir sind weiter mit 30 km/h auf der Autobahn Richtung Hockenheim getuckert. Clark wunderte sich noch, dass ein Mercedes kaputtgehen kann. Wir haben Jimmy so gegen zwei Uhr morgens im Luxhof in Speyer abgesetzt. Wir selbst haben in Hockenheim gewohnt. Wir haben uns noch für das Motorproblem bei ihm entschuldigt. Er hat nur gelacht und gesagt: Macht nichts, war ja nicht eure Schuld. Ich sehe ihn noch, wie er die Terrasse hochläuft und uns zuwinkt.
Und dann am Sonntag?
Ahrens: Es war schlechtes Wetter und es hat geregnet. Aber kein richtiger Regen. Nur so feiner Niesel. Den ganzen Tag. Ich habe Jimmy noch im Fahrerlager und beim Vorstart gesehen. Was mich gewundert hat war, dass er komplett nagelneue Regenreifen von Firestone am Auto hatte. Das ist eher unüblich, weil du bei den Bedingungen lieber angefahrene Reifen haben willst.
An was vom Rennen können Sie sich noch erinnern?
Ahrens: Ich lag nach ein paar Runden vorne. Die Lotus von Clark und Hill fuhren weiter hinten. Beide hatten Probleme. Irgendwann, es muss so die 6. Runde gewesen sein, sehe ich links neben der Strecke einen Krankenwagen und einen Polizisten. Das Auto hast du gar nicht gesehen. Es ging ja auf der linken Seite leicht die Böschung runter. Ich habe die Fahrzeuge auch nicht in Zusammenhang mit einem Unfall gebracht. Uns wurde ja nicht mal die gelbe Flagge gezeigt. Man sah den Krankenwagen schon 300 Meter vorher, und es ging nur geradeaus. Das Rennen ging voll weiter. Vielleicht ist einer in Ohnmacht gefallen, dachte ich. In den Runden darauf kamen immer mehr Fahrzeuge dazu, die da links geparkt haben. Irgendwann fuhr der Krankenwagen dann auf der Strecke. Ich weiß aber nicht, ob Jimmy da drin war. Im Krankenwagen darf man ja keine Toten transportieren. Wir haben uns keine Gedanken gemacht. Ich habe vor den Matra geführt, bis mir 3 oder 4 Runden vor Schluss auf der Gegengeraden Richtung Motodrom der Motor explodiert. Pleuel raus, Block gebrochen. Wir hatten von Bosch Zündkerzen für den Ford-Motor bekommen, die mehr Power gebracht haben als die üblichen Kerzen. Leider haben wir versäumt, das Gemisch darauf einzustellen. Deshalb gab es einen Kolbenfresser. Cosworth durfte davon nichts wissen. Ich habe die Kupplung getreten und das schlingernde Auto noch abgefangen. Deshalb hatte ich später auch mal daran gedacht, ob dem Jimmy vielleicht der Motor explodiert ist. War auch nur eine Spekulation, die sich nicht bewahrheitet hat. Ich bin am Auto stehengeblieben und nach der Zielflagge für das erste Rennen mit dem Abschleppwagen ins Fahrerlager zurück. Das war bestimmt 15 Minuten nach Rennende. Der Fahrer des Abschleppwagens hat nichts gesagt. Im Fahrerlager habe ich meinen Vater getroffen. Das erste, was er zu mir sagt ist: Was ist denn mit Jim Clark passiert? Ich habe zurückgefragt: Was soll denn sein? Der Vater wieder: Na, der ist tot. In dem Moment fiel mir wieder der Krankenwagen ein. Wir haben zusammengepackt und sind noch vor Ende des zweiten Laufs nach Hause gefahren.
An welche Unfallursache glauben Sie?
Ahrens: Es gibt keine echte Erklärung, nur Theorien. Bis hin zu der Story, dass Kinder über die Strecke gelaufen sind. Die meisten Spekulationen passen nicht. Die wahrscheinlichste ist ein Reifenplatzer. Auf der Geraden macht man keinen Fahrfehler. Da kannst auch eine Hand vom Lenkrad nehmen. Es gab auch kein Aquaplaning. Da reichte schon die Geschwindigkeit nicht aus. Wir hatten dort etwa 240 km/h drauf. Und wir sind immer ganz außen gefahren, weil das Wasser ja nach innen abgelaufen ist. Mir blieb nur ein Bild von dem Unfall bis heute im Kopf. Das zeigt Graham Hill nach dem Rennen am Unfallort mit einer gebrochenen Felge in der Hand.