Mercedes-Teamchef Toto Wolff
Zwei Wochen vor Beginn der Winter-Testfahrten in Barcelona spricht Mercedes-Teamchef Toto Wolff über das neue Auto, den Plan für die Vorbereitung auf Melbourne und den Respekt vor Ferrari.
Wie lief der Winter bei Mercedes?
Wolff: Relativ gut für uns, aus Sicht des Designbüros und der Vorbereitung. Die Organisation ist jetzt eingespielt, die Infrastruktur stimmt, die Ressourcen werden richtig eingesetzt und wir haben eine relative Stabilität im Reglement. Die Schwierigkeit, die sich daraus ergibt, ist dass die Lernkurve abflacht. Wenn die Reglements unverändert bleiben, wird es immer schwieriger viel Rundenzeit zu gewinnen. Sowohl beim Chassis, wie beim Motor. Da ist es wichtig sicherzustellen, dass die Entwicklungsrichtung stimmt. Insofern bin ich optimistisch, dass wir in die richtige Richtung gegangen sind.
Wird das neue Auto eine Evolution oder eine Revolution?
Wolff: Wegen des stabilen Reglements wird es nur in wenigen Bereichen sichtbare Veränderungen geben. Es ist wichtig, das zu verstehen. Es gab genügend Beispiele in der Vergangenheit, wo Teams bei gleichbleibenden Regeln versucht haben, sich neu zu erfinden statt eine Evolution umsetzen. Oftmals in dem guten Glauben, dass sie am Ende der Entwicklung angelangt waren und dass sie neue Wege bestreiten mussten, um mehr Potenzial aus dem Auto zu extrahieren. Ich glaube, McLaren ist das mal zwischen 2012 und 2013 passiert. Um es kurz zu machen: Unser Auto ist eine Evolution auf Basis des letztjährigen Modells mit dem einen oder anderen neuen und interessanten Konzept. Da wir aber die Konkurrenz nicht gesehen haben, ist es schwierig einzuschätzen, wie die Abstände sein werden.
Trotzdem haben Sie am Ende der letztjährigen Saison gesagt, die Ingenieure hätten sich sehr ehrgeizige Ziele gesetzt. Wie ist das zu verstehen?
Wolff: Wir sind nicht ganz neue Entwicklungspfade gegangen, sind aber auch nicht super-konservativ geblieben. Wir haben versucht zwischen Evolution und Revolution abzuwägen. In diese Richtung haben wir im Herbst 2015 bei den letzten Rennen schon gearbeitet. Da haben wir sehr viel gelernt, gerade beim Thema mechanisches Setup. Und das fließt in das 2016er Auto ein.
Wie sieht der Fahrplan aus? Wurden die Crashtests bestanden?
Wolff: Alle Crashtests sind bestanden. Da sind wir happy darüber, weil das bei der immerwährenden Suche nach aerodynamischer Effizienz und Gewichtserleichterung des Chassis nicht selbstverständlich ist.
Wird man in Barcelona auf den ersten Blick erkennen, dass es sich um den neuen Mercedes handelt?
Wolff: Vielleicht wird man beim ersten Barcelona-Test nicht auf den ersten Blick großartige Neuigkeiten sehen können. Da muss man schon Experte sein. Ab dem zweiten Barcelona-Test kommt aber das ein oder andere neue Teil ans Auto, das offensichtlich ein Unterschied ist.
Also die gleiche Strategie wie im letzten Jahr?
Wolff: Richtig. Beim ersten Test geht es darum, Daten zu sammeln, die Windkanalwerte zu verifizieren, dass Kühlung und Hydraulik rund laufen und dass wir Kilometer abspulen. Beim zweiten Barcelona-Test machen wir dann einen Schritt in Richtung Rundenzeit.
Schwingt die Angst mit, dass sich Ferrari im Zusammenspiel mit HaasF1 aerodynamisch einen Vorteil verschafft hat?
Wolff: Wir müssen die Kirche im Dorf lassen. Hier geht es um Sport, und der braucht Konkurrenz und den Kampf auf der Strecke. Deshalb schauen wir da mit einem lachenden und einem weinenden Auge darauf. Ferrari hat intelligente Schritte gesetzt in der Kooperation mit HaasF1, und es könnte schon sein, dass daraus Performance entstanden ist. Wenn das so kommt, haben sie alles richtig gemacht. Das bringt einen gewissen Unsicherheitsfaktor mit sich. Normalerweise kann man hochrechen, wie viel Rundenzeit ein Team über den Winter bei stabilen Regeln findet. Dann gibt es noch Bestcase- und Worstcase-Szenarien. Wenn dann aber Variablen mit hineinspielen, die man nicht genau abschätzen kann, sei es durch eine Zusammenarbeit mit einem anderen Team, sei es durch überraschende Entwicklungen wie zum Beispiel seinerzeit den Doppeldiffusor, dann muss man die notwenige Skepsis mitbringen und auf der Hut sein. Ich will mich davor hüten, eine Einschätzung vor den Barcelona-Test zu geben. Aber mit Ferrari ist sicher zu rechnen.
Es gibt Gerüchte, Mercedes wird nach Ferrari-Vorbild das gleiche mit Manor praktizieren. Stimmt das?
Wolff: Du müssen wir uns alle Möglichkeiten offenhalten. Wenn es innerhalb des Reglements Wege der Zusammenarbeit zwischen zwei Teams gibt, die Performance bringen, dann muss man sie ausloten. Ich bin nicht ganz überzeugt, ob es die richtige Richtung für die Formel 1 ist, wenn sich die großen Rennställe B-Teams heranziehen, die dann bestimmte Entwicklungsrichtungen ausprobieren. Wir haben 2017 eine große Reglementänderung vor uns. Da kann so etwas Gold wert sein. Die Zusammenarbeit mit einem anderen Team könnte dir den einen oder anderen Misserfolg ersparen. Wie gesagt: Von der Philosophie finde ich es nicht richtig.
Ist Manor jetzt das B-Team von Mercedes?
Wolff: Nein. Aber neben Pascal Wehrlein nutzen sie auch einen unserer Windkanäle.
Der 2016er Motor wurde mit dem Monza-Paket schon vorweggenommen. Hat das die Arbeit über den Winter erleichtert?
Wolff: Das war sehr gut für uns. Weil wir gewisse Schwächen gesehen haben und die ein oder andere Entwicklungsrichtung verifizieren konnten. Reicht das? Wir werden sehen.
Letzten Winter gab es für die Motorenhersteller böse Überraschungen. Mercedes hatte Probleme mit den Laufbuchsen, Ferrari mit den Blöcken. Muss man bei den Leistungssprüngen weitere Hiobsbotschaften befürchten?
Wolff: Du bewegst dich immer an der Grenze zwischen Leistungsgewinn und Standfestigkeit. Das ist das Nadelöhr, durch das alle durchmüssen. Du musst die richtige Mischung finden. Wir werden also auch diesmal wieder über das Jahr Entwicklungsschritte sehen. Aber erst, wenn alles durch entsprechend Kilometer auf der Rennstrecke abgesichert ist. Der Prüfstand ist das eine. Aber er kann nicht die Laufleistung auf der Rennstrecke mit mehreren Fahrzeugen von mehreren Teams ersetzen. Wir werden uns an die Leistungsgrenzen herantasten, um nicht gleich am Anfang in Zuverlässigkeitsprobleme zu kommen.
Sie werden Sich also wieder Token aufheben?
Wolff: Da erwischen Sie mich auf dem falschen Fuß. Ich kenne den letzten Stand nicht.
Fünf Motoren für 21 Rennen erleichtert gegen über vier für 19 Rennen die Aufgabe?
Wolff: Das bedeutet einen fünften Motor für jedes Team und jedes Auto. Und das sind richtig Kosten. Ich bin nicht sicher, ob es im Sinne des Erfinders ist, dass das 21. Rennen den fünften Motor verlangt. Da besteht die Gefahr, dass ein Hersteller zig Millionen in diesen fünften Motor investiert, um da noch einmal richtig Leistung herauszuholen.