Red Bull macht Druck in Suzuka
Im Training fehlte Red Bull noch eine Sekunde auf Mercedes. Im Rennen waren beide Autos gleich schnell. Das Wunder erklärt sich aus Motorleistung und Streckentemperatur.
Mercedes kann sich nicht ausruhen. Wenn Ferrari über seine eigenen Füße stolpert, ist Red Bull zur Stelle. In Malaysia feierte Max Verstappen einen Sieg aus eigener Kraft. Eine Woche später war er mindestens so schnell wie Sieger Lewis Hamilton. Wenn nicht schneller. „Max fuhr die ganze Zeit in unseren Turbulenzen. Und konnte trotzdem unseren Speed halten“, lobten die Mercedes.Ingenieure.
Es war wieder eines dieser Rennen, für die man hinterher Erklärungen sucht. Im Training fehlten Max Verstappen und Daniel Ricciardo eine Sekunde auf Hamiltons Pole Position. Wieso konnten die Red Bull.Piloten dann am Sonntag das Tempo des Siegers mitgehen. Und das auch noch mit unterschiedlichen Abstimmungen. Verstappen fuhr mehr, Ricciardo weniger Flügel. Ricciardo stolperte wie in Sepang vor einer Woche über einen schlechten Start. Als der Australier in der 11. Runde endlich an der Straßensperre Ocon vorbei war, wurden ihm auf Spitzenreiter Hamilton 8,9 Sekunden Rückstand angezeigt. Im Ziel betrug die Differenz 9,6 Sekunden.
Vollgasanteil steigt von 68 auf 75 Prozent
Die Erklärung des Wunders liegt laut Teamchef Christian Horner in zwei Faktoren. „Mercedes und Ferrari können im Training ihren Power-Modus abrufen. Wir fahren immer mit der gleichen Leistung. In Suzuka trifft dich das härter als in Malaysia, weil der Vollgasanteil höher ist.“ Tatsächlich ist er im Vergleich zum Vorjahr von 68 auf 75 Prozent gestiegen. „Zu viele Kurven gehen jetzt Vollgas“, beklagte sich Verstappen. Das ist die Sicht eines Red Bull.Fahrers. „In den Vollgaskurven geht der Speed wegen der höheren Reibung auf der Straße runter. Die anderen erholen sich danach wieder. Wir nicht.“ Im oberen Drehzahlbereich, egal in welchem Gang, geht dem Renault V6-Turbo, die Puste aus.
Auch das warme Wetter spielte eine Rolle. Am Sonntag war die Asphalttemperatur um 18 Grad höher als in der Qualifikation. Das half Red Bull und bremste Mercedes. Die Silberpfeile haben es lieber kühl. „Lewis wirkte das ganze Rennen lang etwas gehemmt“, fand Horner. „Wir mussten das ganze Rennen lang mit unseren Reifen haushalten, um mit einem Stopp über die Runden zu kommen“, erklärte Teamchef Toto Wolff.
Gegen alle Regeln war Mercedes auf dem Supersoft-Reifen eine Spur besser als der Red Bull. Auf der härteren Soft-Mischung kehrte sich das Kräfteverhältnis um. Normalerweise ist es eigentlich umgekehrt. „Mit diesen Rätseln musst du leben“, zuckte Red Bull.Berater Helmut Marko mit den Schultern. Vielleicht gibt es aber doch eine Erklärung für das Phänomen. Im Verlauf des Rennens sank die Streckentemperatur um 7 Grad. Gleichzeitig kam immer mehr Gummi auf die Bahn. Das führte zu Balanceverschiebungen. „Auf den Soft-Reifen war unser Auto wunderbar ausbalanciert“, strahlte Verstappen.
Die Sorge um den linken Vorderreifen
In der ersten Phase des Rennens schwankte der Abstand zwischen 1,5 und 4,5 Sekunden. Verstappen musste wegen Blasen auf dem linken Vorderreifen Tempo aus seiner Fahrt nehmen. Sein Renningenieur riet ihm deshalb im zweiten Stint eine Lücke von zwei bis drei Sekunden zu Hamilton zu lassen, um außerhalb der Turbulenzen des Mercedes zu fahren und die Vorderreifen für eine Schlussattacke zu schonen.
Hamilton sah seinen Gegner zwei Mal formatfüllend im Rückspiegel. Beim ersten Mal verhungerte der WM-Spitzenreiter in der verwirbelten Luft von Teamkollege Valtteri Bottas. Gegen Ende lief das Duo auf die überrundeten Fernando Alonso und Felipe Massa auf. In diesen Phasen zeigte sich, dass der Red Bull wesentlich unempfindlicher auf schlechte Luft reagiert als der Mercedes. „Ich habe in den Turbulenzen auch Abtrieb verloren, aber nicht so früh wie Lewis. Im Vergleich zu ihm konnte ich dichter aufschließen“, erzählte Verstappen. Marko fügte genüsslich hinzu: „Unser Auto scheint auch noch einen schlechteren Windschatten zu geben als andere. Ich hatte überhaupt keine Angst, dass Bottas noch an Ricciardo vorbeikommt.“
Dass Bottas seinem Teamkollegen Schützenhilfe leistete und sich für eine Runde zwischen Hamilton und Verstappen setzte, fand Horner „normal“. Marko echauffierte sich dafür über Alonso und speziell Massa, der „nicht nur Max aufgehalten, sondern Hamilton auch noch Windschatten gegeben hat.“ Verstappen glaubt nicht, dass er eine echte Chance hatte, Hamilton zu überholen. „Ich hätte im Verkehr auf ihn aufschließen müssen. Da war Lewis gehandikapt. Sobald er wieder in sauberer Luft fuhr, kam ich nicht nah genug an ihn heran.“ Einen Tag zuvor hatte Ricciardo noch gewarnt. „Für den Fahrspaß auf einer Runde sind diese Autos mit viel Abtrieb toll. Für guten Rennsport taugen sie weniger.“
Das Rätsel mit der VSC-Phase
Eine Sache muss noch erklärt werden. Hamilton gewann in der ersten VSC-Phase über eine Sekunde auf Verstappen. In der virtuellen Neutralisation fährt das Feld 130 Prozent des Rennspeeds. Die Fahrer müssen dabei in den 20 Minisektoren mindestens ein Mal positiv sein. Sie bekommen das über das Display angezeigt.
Man sollte meinen, dass in dieser Phase die Abstände eingefroren sind. Doch der Algorithmus, der den Fahrern auf dem Display ein Plus oder ein Minus zur Deltazeit angibt, ist auf die individuell zurückgelegte Distanz bezogen. Wer also einen weiteren Weg fährt, bestraft sich selbst. Verstappen legte mehr Strecke zurück, weil er extremer Schlangenlinien fuhr als ein Gegner. Dafür hatte er beim Re-Start heißere Reifen. „Da ist der Lewis noch eine Spur cleverer“ , merkte Marko anerkennend an.
Red Bull rechnet nun auch auf den verbleibenden vier Strecken mit Siegchancen. Immer ein bisschen abhängig vom Volllastanteil, von den Asphalttemperaturen und vom Grip auf der Strecke. Die 92 Punkte Rückstand auf Ferrari wird man nach Ansicht von Marko nicht mehr aufholen. „Wir müssen noch Motorstrafen absitzen.“ Red Bull wird sie splitten, um jeweils wenigstens ein Auto in der Verlosung zu haben. Man könnte schon bei den kommenden Rennen in Austin und Mexico-City damit anfangen.