Rennanalyse GP Deutschland 2019

Verstappen kletterte auf seinen RB15. Red Bull bestätigte die Fortschritte der letzten Wochen. Das Auto ist auf jeder Strecke und unter allen Verhältnissen schnell.
In Hockenheim regierte das Chaos – und Max Verstappen. Red Bulls Wunderknabe feierte seinen zweiten Saisonsieg. Sebastian Vettel und Daniil Kvyat landeten sensationell auf dem Podest. Mercedes nahm sich selbst aus dem Rennen.
Das elfte Rennen des Jahres war das beste der bisherigen Saison. Favorit Mercedes stolperte, die beiden Fanlieblinge feierten gemeinsam auf dem Podest. Und Daniil Kvyat brachte Toro Rosso das erste Podest seit Vettels Sieg für den Rennstall in Monza 2008. In unserer Rennanalyse klären wir die wichtigsten Fragen.
Wie raste Max Verstappen zum Sieg?
Red Bull machte am Rennsonntag von Hockenheim mehr richtig als die Konkurrenz. Fahrer, Auto, Taktik, Kommunikation: Das Team aus Milton Keynes erlaubte sich nur wenige Unzulänglichkeiten, obwohl die Mischverhältnisse förmlich zu Fehlern einluden. „Es gab nicht einen Schlüssel zum Erfolg, sondern viele Bausteine“, resümierte Red Bulls Sportchef Helmut Marko.
Max Verstappen kreiselte in der 26. Runde einmal um die eigene Achse, hielt sich aber auf der Strecke. „Im Nachhinein kann ich sagen, es war ein Dreher für die Galerie“, flachste der Sieger des GP Deutschland. Marko lobte seinen Starfahrer in den höchsten Tönen. „Max war geduldig und schnell.“ Und der Doktor entlastete Verstappen sogar bei seinem Fahrfehler. „Es war unsere Schuld. Wir haben ihm die falschen Reifen gegeben.“
Red Bull hatte in der Runde zuvor von Intermediate auf Slickreifen getauscht. Die Strategen entschieden sich für die Medium-Mischung. In der Hoffnung, Verstappen könne darauf das Rennen beenden. Doch auf dem kühlen und feuchten Asphalt hatte der Pilot alle Mühe, die Reifen anzuzünden. Besser wären in diesem Fall die weichen Reifen gewesen. Fahr- und Taktikfehler blieben ohne Folgen. Wenige Minuten später begann es wieder zu regnen.
Charles Leclerc und Lewis Hamilton flogen von der Bahn. Verstappen tauschte in Runde 29 zurück auf die Intermediates und führte danach das Rennen an. „Als ich endlich freie Fahrt hatte, konnte ich die Geschwindigkeit des Autos ausspielen. Vorneweg ist es auch einfacher, die Reifen in Schuss zu halten“, berichtete Verstappen. „Wir waren schneller als Mercedes. Wäre uns Bottas im ersten Rennteil nicht im Weg gestanden, hätten wir Hamilton folgen können“, meinte Marko.
Mercedes eliminierte sich selbst durch Fahrfehler und Pannen beim Boxenstopp. Ferrari war nach dem verpatzten Samstag und den Startpositionen zehn und 20 ohnehin kein Gegner. Hockenheim hat gezeigt, dass Red Bull inzwischen auf jeder Strecke und unter allen Verhältnissen ein schnelles Auto hat. „Unsere Regenschwäche des Vorjahres ist behoben. Es gibt keine Strecke mehr, vor der wir uns fürchten müssen“, sagt der Sportchef selbstbewusst.
Wie ist das Vettel-Wunder zu erklären?
Ein kaputter Ladeluftkühler kostete Sebastian Vettel das Qualifying. Der Lokalheld brauchte das Chaos, um nach vorne zu kommen. In einem Trockenrennen wäre er vermutlich auf dem fünften oder sechsten Platz eingelaufen.
Petrus breitete dem Ferrari-Star den roten Teppich aus. Vettel musste selbst noch drüber laufen. Und wie er das tat. Vom letzten Startplatz zeigte der viermalige Weltmeister eine der größten Aufholjagden der Geschichte. Nach 64 Runden steuerte er den SF90 etwas mehr als sieben Sekunden hinter Verstappen ins Ziel.
Schon nach acht Runden tauchte der Heppenheimer auf dem siebten Platz auf. Doch dann stockte die Aufholjagd für 40 Runden. Diese Phase spulte Vettel wie das restliche Feld größtenteils auf den Intermediate-Reifen ab. „Mir fehlte das Vertrauen in sie. Ich hatte richtig zu kämpfen. Die Intermediates haben ziemlich schnell ziemlich stark abgebaut“, erklärte Vettel. Es reichte nicht einmal, seinen alten Teamkollegen Kimi Räikkönen im Alfa-Sauber zu überholen.
Die richtige Taktik, die Unterbrechungen und Safety Cars hielten Vettel im Rennen um das Podest. Nach dem Wechsel in der 47. Runde auf Slickreifen war der SF90 wie verwandelt. „Das Auto kam richtig zum Leben.“ In der Schlussphase knackte Vettel sechs Kontrahenten. Und er profitierte vom Unfall von Valtteri Bottas.
Was war mit Mercedes los?
28 Runden lang hatte der von Halsschmerzen geplagte Lewis Hamilton alles im Griff. Bis ihn seine Strategen in die Box riefen, und dem Weltmeisterauto die weichen Pirellis aufsteckten. „Ich wollte eigentlich auf den Intermediates bleiben. Der Kommandostand hat für gewöhnlich einen besseren Überblick. Doch die Slicks waren die falsche Wahl. Diese Entscheidung hat den ersten Dominostein umgestoßen. Danach lief alles gegen uns.“
Hamilton erlaubte sich auf feuchter Strecke einen seiner wenigen Fahrfehler. Der fünffache Titelträger rutschte in der vorletzten Kurve aus und stieß mit der linken Fahrzeugseite gegen die Streckenbegrenzung. Danach fehlte der halbe Frontflügel. „Ich bin auch nur ein Mensch“, hielt Hamilton fest.
Danach versank Mercedes im Chaos. Hamilton umfuhr den Poller auf der falschen Seite. Die Rennleitung brummte ihm fünf Strafsekunden auf. Das ist nichts im Vergleich zu der Zeit, die während des Stopps verging: 50,3 Sekunden. Bei Mercedes war alles auf einen Reifentausch von Valtteri Bottas vorbereitet. Deshalb hielten die Mechaniker die falsche Nase und die falschen Reifen in den Händen. Hamiltons Führung war dahin. Später im Rennen unterlief ihm in Kurve eins ein zweiter Fahrfehler. „Heute sind es nicht die Halsschmerzen, sondern eher der mentale Schmerz.“
Valtteri Bottas hatte weder auf den Regenreifen noch auf den Slicks die notwendige Geschwindigkeit. Acht Runden vor Schluss feuerte er seinen W10 in der ersten Kurve in die Reifenstapel.
War die Auslaufzone in Kurve 16 gefährlich?
Gleich zwei Fahrer segelten in der vorletzten Kurve ins Aus: Charles Leclerc und Nico Hülkenberg. Lewis Hamilton, Carlos Sainz und Kimi Räikkönen konnten sich immerhin retten. Die Ausrutscher folgten alle demselben Muster. Erst rumpelten die Autos über den Randstein, dann schlitterten sie durch die Auslaufzone, wie auf Eis. „Das war unverantwortlich. Darüber müssen wir noch reden“, maulte Hülkenberg. „Das Auto hat null verzögert. Ich bin gerutscht wie auf Aquaplaning.“
Die betroffene Auslaufzone ist Teil einer Dragster-Strecke in Hockenheim. Dort sammelte sich das Wasser stark, und die Autos verzögerten kaum. „Ich will die Strecke nicht für meinen Crash verantwortlich machen. Es war mein Fehler. Aber die Auslaufzone war verdammt rutschig“, sagte Leclerc. Hamilton schloss sich an: „Es war wie auf Eis. Andererseits: Hätte das Kiesbett direkt begonnen, wäre ich wohl gestrandet.“
Wie kam Daniil Kvyat auf das Podest.
Man konnte viel falsch machen, aber auch viel richtig. Die Teams brauchten Glück, aber auch das notwenidge Gespür für die Taktik. Toro Rosso und Racing Point hatten es im richtigen Augenblick. Lance Stroll holte sich im 44. Umlauf Trockenreifen. Daniil Kvyat eine Runde später. Sie sparten sich Zeit, weil nach Hülkenbergs Unfall das Safety Car das Feld neutralisierte. Für beide zahlte sich das Risiko aus. Die Strecke trocknete mehr und mehr auf.
Die Gegner waren gezwungen zu wechseln. Plötzlich kämpften Stroll und Kvyat um das Podest. Im 51. Umlauf stellte es der Russe sicher. „Mir unterlief leider ein kleiner Fehler in Kurve acht, sodass er durchrutschte“, gestand Stroll. „Dieses Rennen war wie ein Horrorfilm mit schwarzem Humor und einer Achterbahn. Zum Glück hatte es für uns ein Happy End“, freute sich Kvyat, der zum dritten Mal in seiner Karriere auf das Podium stieg. Er freute sich doppelt. Seine Freundin hatte in der Nacht die erste Tochter zur Welt gebracht. „Ich widme ihnen das Podest. Ich hatte drei schwere Jahre. Ich dachte nicht, dass ich in die Formel 1 zurückkomme. Dieses Podest ist eine Botschaft: Man kann immer aufstehen. Ich werde mit mehr Konstant für weitere solcher Momente kämpfen.“
Wieso wurde Alfa bestraft?
Vier Stunden nach Rennende wurden beide Alfa-Sauber mit 30 Strafsekunden belegt. Der Grund: Das Drehmoment in der Kupplung beim Start entsprach nicht der Drehmomentanforderung des Fahrers. Das Team sprach von einer Fehlfunktion der Kupplung. „Wie es aussieht, lag das Problem außerhalb unserer Kontrolle. Wir müssen es allerdings in der Fabrik eingehend untersuchen“, erklärte Teamchef Frederic Vasseur.