Trainingsanalyse GP Belgien 2017
Der Zweikampf zwischen Mercedes und Ferrari geht weiter. Kimi Räikkönen und Lewis Hamilton räumten die Bestzeiten ab. Sebastian Vettel fuhr den schnellsten Ultrasoft-Longrun, Valtteri Bottas die beste Rennsimulation auf Soft-Reifen.
Spa ist auf dem Papier eine Mercedes-Strecke. Der erste Trainingstag bestätigte diesen Eindruck. Doch der Vorsprung auf Ferrari ist kein Ruhekissen. Im ersten Training setzte Kimi Räikkönen mit 1.45,502 Minuten die schnellste Zeit, im zweiten Lewis Hamilton mit 1.44,753 Minuten. Das kann sich am zweiten Trainingstag oder im Rennen ändern. Wenn Regen kommt sowieso. Keines der Teams hat Erfahrung mit den neuen Autos und breiten Reifen im Regen.
Als es 24 Minuten vor Ende des zweiten Trainings zu regnen begann, gingen nur zwei Fahrer auf die Strecke. Doch Daniel Ricciardo und Fernando Alonso bogen nach einer Runde schon wieder in die Boxengasse ab. Ein mittlerer Wolkenbruch hatte die Strecke geflutet. Da war nichts mit lernen.
Und es verkürzte das normale Longrun-Programm der Teams in einem Maß, das die Mercedes-Strategen sagen lässt: „Es gibt mehr Unbekannte für Sonntag als sonst. Deshalb ist es unheimlich schwer, die Longrun-Zeiten zu vergleichen. Die Dauerläufe waren oft zu kurz, oder manche mussten vorzeitig abgebrochen werden.“ Nico Hülkenberg bestätigt: „Unsere Rennsimulation mit den Soft-Reifen fiel ins Wasser.“
Ferrari auf Ultrasoft stark, Mercedes auf soft
Auch in den Longruns gaben sich Mercedes und Ferrari nicht viel. Sebastian Vettel beeindruckte Mercedes mit einem unglaublichen Dauerlauf auf den Ultrasoft-Reifen. Da nahm der Ferrari-Pilot Lewis Hamilton 7 Zehntel ab, obwohl er 3 Runden länger fuhr. „Speziell in den ersten beiden Runden und Runde 5 war Vettel schneller als wir“, warnten die Mercedes-Ingenieure. Vettel war trotzdem nicht zufrieden. „Von mir und vom Auto muss mehr kommen.“
Umgekehrtes Bild bei den Soft-Reifen. Da bestimmte Valtteri Bottas mit einem Schnitt von 1.50,223 Minuten über 7 Runden das Tempo. Kimi Räikkönen verfehlte die Zeit um 0,703 Sekunden. Obwohl die Strecke am Nachmittag mehr Grip bot. „Auf den Soft-Reifen sind wir klar schneller“, ziehen die Mercedes-Ingenieure Bilanz. „Auf den Ultrasoft-Reifen müssen wir uns die Umstände anschauen. Über eine Runde haben wir die Oberhand. Auf die Distanz hält Ferrari den Reifen besser in Schuss.“ Ein Grund könnte sein, dass Ferrari Flügel mit mehr Abtrieb einsetzt. Das schont die weichste Reifenmischung im Angebot besser.
Red Bull war am Freitagmorgen noch weit weg vom Schuss. Teamberater Helmut Marko fürchtete bereits: „Aus einer Sekunde Rückstand werden im Qualifying zwei Sekunden.“ Doch am Nachmittag holte Red Bull mit Riesenschritten auf. „Wir haben davon profitiert, dass mehr Gummi auf die Strecke kam.“ Max Verstappen egalisierte Hamiltons Longrun um ein Haar. Er hätte noch schneller sein können, wäre der Holländer seinen Stint nicht zu schnell angegangen. Nach einer 1.49er Runde brachen die Ultrasoft-Reifen schneller ein als erwartet.
Red Bull im Flügel-Dilemma
Red Bull steht vor dem Dilemma, dass man zwei Autos mit unterschiedlichen Qualitäten im Einsatz hatte. Daniel Ricciardo fuhr mit dem Monza-Flügel, den Marko spöttisch als „Flap“ bezeichnet, weil er so minimal ausfällt. Der Australier setzte in den Sektoren 1 und 3 die Bestzeit. Dafür brach er mit Mittelabschnitt ein. „Er hatte allerdings auch ein bisschen Verkehr. Hamilton und Vandoorne standen im Weg“, grummelte Marko. Verstappen war wie erwartet im zweiten Sektor schnell, verlor aber auf der Geraden bis zu 8 km/h. Oder eine halbe Sekunde im ersten Sektor.
Red Bull sucht jetzt den goldenen Mittelweg. „Können wir nicht unterwegs Autos tauschen? Erst das Ricciardo-Auto, dann das von Max, dann wieder Daniels Version“, scherzte Teamchef Christian Horner. Die Lösung sieht so aus. Entweder der Verstappen-Flügel muss noch etwas Federn lassen, oder das Leitwerk von Ricciardo wird auf mehr Abtrieb getrimmt. „Die Ingenieure in Milton Keynes rechnen gerade, ob das geht“, verrät Marko.
Hinter den drei Top-Teams gibt es kein klares Bild. Toro Rosso war das einzige Team, das mit Carlos Sainz einen repräsentativen Supersoft-Dauerlauf auf die Bahn legte. Der Spanier war nach 12 Runden auf der mittleren Reifenmischung schneller als die Force India auf den Ultrasoft-Reifen. Esteban Ocon erzielte mit Ultrasoft und Soft fast die gleichen Dauerlauf-Zeiten. Die Rennsimulation auf Soft wurde wie bei Mercedes schon am Vormittag abgespult. und da war die Strecke noch langsamer. Nico Hülkenberg mischte im Pool des Mittelfelds mit, war dennoch nicht happy: „Die Reifen bauen zu stark ab. Die Balance passt noch nicht ganz.“
McLaren-Honda hat sich trotz der Power-Strecke mitten unter den Force India, Toro Rosso und HaasF1 eingenistet. Fernando Alonso und Stoffel Vandoorne waren sowohl auf eine Runde als auch im Longrun fast gleich schnell. Das hat nichts mit dem Heimvorteil von Vandoorne zu tun, sondern damit, dass der Belgier schon mit dem Spec 3.5-Motor unterwegs ist. Und der hat mehr Power als die Version von Alonso. „Im Rahmen dessen, was wir erwartet haben“, lobt Teamchef Zak Brown.
Drei Gründe für ein spannendes Rennen
Der Freitag verspricht ein spannendes Rennen. Weil es viele Unbekannte gibt. Weil alle 3 Reifenmischungen als Rennreifen in Frage kommen. Weil die Teams mit unterschiedlichen Abtriebsniveaus unterwegs sind. Und weil die Autos ihre Qualitäten auf unterschiedlichen Reifentypen ausspielen.
Mercedes setzt auf den Soft-Reifen. Force India auch. Beide haben auf den gelb markierten Gummis in ihrem Umfeld den Speed, der diesen Reifen zu einem Joker machen könnte. Weil er deutlich weniger stark abbaut als seine weicheren Brüder. Und weil er ihnen die Chance auf ein Einstopp-Rennen offenhält.
Wenn Ferrari aber den Ultrasoft-Reifen lange genug am Leben hält, dann könnte die Reifenfolge Ultrasoft-Soft-Ultrasoft Sinn machen. Unter dem Strich vielleicht genauso schnell. Damit würden sich die Wege von Mercedes und Ferrari zwei Mal kreuzen. Das verspräche ein direktes Duell auf der Strecke.
Red Bull wird sich möglicherweise auf die weichen Mischungen konzentrieren und den einen Satz Soft als eiserne Reserve in der Hinterhand halten. Hier hängt alles davon ab, ob man ein Abtriebs-Level findet, das zwischen dem Setup von Ricciardo und dem von Verstappen liegt. Bei zu wenig Anpressdruck drohen die Reifen Blasen zu werfen. Experten sagen: „Wenn Red Bull am Sonntag ungetestet den Soft-Reifen einsetzt, ist das ein Risiko. Weil sich mit diesem Reifentyp die Balance verschiebt. Das sollte man vorher mal ausprobieren.“
Ein großer Faktor könnte das Wetter werden. Die Vorhersage verspricht zwar ein trockenes Rennen, doch Wetterprognosen in Spa sind so zuverlässig wie Börsentrends. „Wenn wir wüssten, dass es am Sonntag regnet, wäre unser Flügeldilemma einfach gelöst“, resümiert Marko.
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Longrun-Tabelle GP Belgien 2017