Wo verliert Red Bull die Zeit?
Nach dem ersten Rennen hatte Red Bull noch Hoffnung. Doch der Rückstand ist im zweiten Rennen nicht genug geschrumpft. Mercedes redet den Gegner trotzdem stark. Erst in Budapest zeige sich das wahre Bild.
In diesem Jahr sollte er endlich klappen, der Angriff auf Mercedes. Red Bull stufte sich vor dem Saisonstart auf Augenhöhe mit Mercedes ein. Höchstens zwei bis drei Zehntel dahinter. Doch im ersten direkten Vergleich wich der Optimismus Ernüchterung.
Red Bulls Leitstern Max Verstappen fehlten fast sechs Zehntel. Immerhin, es gab Gründe. Verwindungen von Aerodynamikteilen verursachten Strömungsabriss, was den Fahrern Vertrauen in den schnellen Kurven raubte. Und Honda wollte so früh in der Saison maximale Power nur in kleinsten Dosen abgeben.
Für den zweiten Auftritt in Spielberg sah sich Red Bull besser gerüstet. Und tatsächlich, am Freitag schrumpfte der Abstand praktisch auf Null. Mercedes schien verwundbar. Heute weiß man, dass die Silberpfeile mehr unter der großen Hitze gelitten haben als der Herausforderer. Das ist keine neue Erkenntnis. "Hitze ist unsere Achillesferse", gab Mercedes.Teamchef Toto Wolff zu.
Die Qualifikation im steirischen Dauerregen taugte für einen echten Vergleich nur bedingt. Man könnte den 1,2-Sekunden-Vorsprung von Hamilton dahingehend deuten, dass der Mercedes mehr Abtrieb hat. Doch im Regen spielen die Reifentemperaturen eine noch größere Rolle als sonst. Wer die Pirelli-Sohlen ins magische Fenster bekommt, der kann über Wasser gehen. Hamilton fand den Schlüssel. Die anderen nicht.
Alles gegeben und doch zu langsam
Die Wahrheit musste das Rennen bringen. Und die gefiel weder Max Verstappen noch seinen Teamchefs. Hamilton nahm dem Holländer in 23 Runden auf Soft-Reifen 5,6 Sekunden ab. Macht pro Runde 0,24 Sekunden. Die Mercedes.Ingenieure versuchten den Gegner dennoch stark zu reden: "Max fuhr immer in Sichtweite von Lewis."
Doch bei Verstappen hörte sich das ganz anders an: "Ich habe alles gegeben, und es war nicht genug. Lewis hat sein Tempo auf meine Rundenzeiten ausgerichtet. Wenn ich schneller geworden bin, hat auch er zugelegt." Der Vorsprung vergrößerte sich vor allem in der zweiten Hälfte des ersten Stints. Ein sicheres Indiz dafür, dass der Mercedes besser mit seinen Reifen haushielt.
Der frühere und schnellere Boxenstopp brachte Verstappen zwar noch einmal auf 4,9 Sekunden heran, aber auch die Medium-Reifen wendeten nicht das Blatt für Red Bull. Immerhin konnte Verstappen in den folgenden 23 Runden den Abstand zu Hamilton gleichhalten.
Erst ab der 54. Runde öffnete sich die Lücke wieder. Da hörte Verstappen über Funk die Warnung, dass sein rechter Frontflügel beschädigt sei. Er selbst wusste nicht einmal, wann und wo es genau passiert war. Teamchef Christian Horner klärte auf: "Auf dem Randstein ausgangs Kurve 9. Wir haben an den Daten sofort den Abtriebsverlust erkannt."
Verstappen meinte trotzig, dass der Schaden auf das Ergebnis keinen Einfluss hatte. Genauso wenig wie die Heckflügel-Endplatten, die während der Fahrt Teile abwarfen. "Es fühlte sich nicht viel anders an. Die Balance war immer noch gut. Wir waren über eine Runde einfach zu langsam. Uns fehlt Power und Grip."
Auch der frühe Boxenstopp in Runde 24 hat nach Verstappens Aussage nichts mit dem Ausgang des Rennens zu tun. Hamilton stand ja nur drei Runden später an der Box. "Egal, was wir machen, früher, später oder zur gleichen Zeit stoppen, wir haben einfach nicht den Speed."
Valtteri Bottas dagegen hat von seinen zehn Runden frischeren Reifen profitiert und den Red Bull mit dem langen Atem im Schlussspurt noch überholt. Doch das zählte für Verstappen an diesem Tag nicht. Sein Anspruch ist Hamilton und der Sieg. Ob Zweiter oder Dritter ist ihm egal.
WM-Titel schon ein entfernter Traum
Verstappens Aussagen sind nicht schwer zu lesen. Da fährt jede Menge Frust mit. Frust, dass diese Mercedes schon wieder einen Vorteil haben. Einen Vorteil, den man in einer Saison, in der Rennen auf Rennen folgt, nur schwer aufholen kann. Die Mission jüngster Weltmeister aller Zeiten zu werden ist bereits nach zwei Saisonrennen in Gefahr.
So sieht es auch Verstappen selbst: "Wir haben uns gesteigert. Von null Punkte auf ein Podium. Das reicht aber nicht. Wenn wir um die Weltmeisterschaft kämpfen wollen, müssen wir Rennen gewinnen. Alles andere ist nicht gut genug." Den Aufruf, noch härter zu arbeiten, erwiderte Horner mit der Ansage: "Alles was neu ist, kommt sofort ans Auto."
In den GPS-Analysen der Ingenieure zeigt sich eindeutig, wo Red Bull seine Zeit verliert. Auf den Geraden und in den schnellen Kurven. Der Verlust auf den Geraden hatte diesmal zwei Gründe. Mercedes war mit weniger Flügel unterwegs als Red Bull, die sich immer noch gegen Abtriebsschwankungen auf die wenig effiziente Weise der stärkeren Flügelanstellung absichern müssen.
Und dem Honda-Motor fehlt im Vergleich zum Mercedes V6-Turbo Dampf. Der hat seine Marktführerschaft zurückerobert. Bei Red Bull sprechen sie von drei bis vier Zehnteln, die im Volllastbetrieb liegenbleiben. Mal schauen, wie lange der Friede zwischen Milton Keynes und Tokio hält.
Interessanterweise fällt der Leistungsverlust im Rennen schwerer in Gewicht als im Training. Die Mercedes.Techniker klären auf. "Honda schaltet im Rennen die MGU-K auf den Geraden früher ab als wir. Über eine Runde können sie länger boosten." Die Japaner müssen bei der Elektro-Power nachrüsten. Zum Glück für sie lässt das Reglement da noch Entwicklungsspielraum zu. In den langsamen Kurven sind die Red Bull schneller. Wolff bestätigt: "In den Kurven 3 und 4 haben sie uns Zeit abgenommen."
Respekt vor der Hitze in Budapest
Bei Mercedes kann man sich trotz des gelungenen Saisonstarts auf einer Angststrecke noch nicht entspannen. "So richtig scharf wird das Bild erst, wenn du auf drei unterschiedlichen Strecken warst", bremsen die Ingenieure allzu große Euphorie. Schon am nächsten Wochenende in Ungarn könnte Red Bull ein viel gefährlicherer Gegner werden.
Der Hungaroring hat mehr langsame Kurven als Red Bulls Hausstrecke in Spielberg. Dort fahren alle mit maximalem Anpressdruck. Motorleistung spielt eine viel geringe Rolle als in Österreich. Der Vollastanteil fällt von 78 auf 67 Prozent. Der Vorteil der besseren Effizienz schrumpft, wenn alle die größten Flügel draufschnallen. "Dadurch kann mit die Autos dort auch besser vergleichen", heißt es bei Mercedes.
Sorge macht auch die Wettervorhersage. Temperaturen von bis zu 30 Grad sind angesagt. "Das könnte für uns zum Problem werden", baut Wolff vor. Kollege Horner blickt derweil schon nach hinten. "Der Speed der Racing Point muss uns Sorgen machen. Es gab Phasen, da war Perez drei bis vier Zehntel schneller als der Rest, auch schneller als Bottas, obwohl der frischere Reifen hatte." Auch Mercedes warnt vor dem Schwesterteam: "Wenn die von besseren Startplätzen aus ins Rennen gehen und die Strategie richtig hinkriegen, können die für alle zur Gefahr werden."