Bremsassistent und Abbiegeassistent
Rechtsabbieger-Unfälle: Horror im Stadtverkehr. Im letzten Jahr starben in Deutschland 34 Radfahrer bei solchen Unfällen mit dem Lkw, bei 70 von insgesamt 400 tödlichen Rad-Unfällen waren Lkw zumindest beteiligt. Für Mercedes eindeutig zu viel.
Der Lkw-Hersteller leistet seit Jahrzehnten Pionierarbeit bei der Sicherheitstechnik im Lastkraftwagen. So kam 1981 das ABS, 2000 erstmals ein Spurhalter und Abstandsregeltempomat, 2001 das ESP, 2006 der automatische Bremsassistent mit Radar, der auf langsam fahrende Fahrzeuge reagiert, und 2018 der ABA 5 (Active Brake Assist). Der liefert dank einer Fusion aus Radar und Kamera eine Warnkaskade bis zur Vollbremsung in den Stillstand ab, detektiert stehende Objekte und reagiert selbst auf überraschend die Straße querende Fußgänger.
Sinnvoll, denn ein mit Tempo 80 einschlagender 40-Tonner hat die kinetische Energie eines Pkw mit 400 km/h. Doch nicht nur bei hohen Tempi, sondern grundsätzlich gilt: „Jeder Unfall ist einer zu viel“ , meint auch Stefan Buchner, Leiter Mercedes-Benz Lkw. Unfallvermeidung sei eine gesellschaftliche Verantwortung. Deshalb habe Mercedes bereits innovative technische Lösungen entwickelt und angeboten, bevor der Gesetzgeber sie vorschrieb.
Allerdings sind aufwendige Systeme mit Radar und Kamera teuer und müssen vom Kunden bezahlt werden. Doppelt teuer übrigens: Da Daimler die Systeme von Grund auf selbst entwickelt, kostet das viel Geld, die aufwendigen Komponenten tun ein Übriges. Deshalb sind Systeme wie Abbiegeassistenten und Notbremsassistenten meistens optional, also aufpreispflichtig.
Sideguard wird nachrüstbar, ABA 5 Serie./strong>
Ein weiteres Problem: Man kann sie nicht sinnvoll nachrüsten. Genauer: Man konnte sie nicht nachrüsten, denn ab dem 01.01.2020 bietet Mercedes für bestimmte, nach 2017 produzierte Modelle (Actros, Arocs und Econic) den seit 2016 lieferbaren Abbiegassistenten Side Guard Assist als werksmäßige Nachrüstlösung an. Interessant vor allem für Kommunalbetriebe, denn ihre Fahrzeuge sind zur Hälfte an tödlichen Radfahrerunfällen beim Abbiegen beteiligt. Übrigens werden Systeme wie diese laut EU-Beschluss ab 2022 für neue Lkw-Typen Pflicht, für alle anderen Lkw ab 2024. Ab dem 01.01.2020 ist bei Mercedes immerhin der ABA-5-Bremsassistent beim Actros europaweit Serie.
Der Notstopper: Bremsassistent
Entwickler Dr. Rainer Müller-Finkeldey liefert Argumente für das System: Bei Datenauswertungen von fast 100.000 Actros mit ABA 4 hätte man etwa 15 Millionen Warnungen registriert, eine Million Teilbremsungen sowie über 10.000 echte Notbremsungen erkennen können. Und was das Thema der Abschaltung solcher Sicherheitssysteme angeht, ergab dieser große Feldversuch klar Entwarnung. Nur etwa ein Prozent der Fahrer schaltet den Notbremser ab. Anders sieht es beim Abstandsregeltempomaten aus, den viele Trucker deaktivieren, um näher an den Vordermann heranzukommen und Transportgeschwindigkeit zu gewinnen.
Der Seiten-Checker: Abbiegeassistent
Während dies vorwiegend ein Thema auf der Autobahn ist, hilft der Abbiegeassistent vor allem in der Stadt. Fährt der Actros auf eine Kreuzung zu und setzt der Fahrer den Blinker rechts, checken die beiden seitlich vor der Hinterachse montierten Nahbereichs-Radare den gesamten Bereich neben dem Zug sowie kurz davor und dahinter. Befindet sich dort etwa ein Radfahrer und droht eine Kollision, dann warnt das System im Spiegelmonitor zunächst mit gelbem Licht, dann eindringlich mit rotem und einem akustischen Signal. Ach ja, das System erkennt auch die Schleppkurve des Aufliegers, warnt vor potenziellen Hindernissen darin. Getreu dem Credo, das Müller-Finkeldey erläutert, nämlich die Aufmerksamkeit des Fahrers dahin zu lenken, wo es kritisch werden könnte.
Kamera und Monitor serienmäßig
Dabei helfen beim neuen Actros die Kameras und Monitore der serienmäßigen sogenannten Mirror-Cam, die die konventionellen Spiegel ersetzen. Die Vorteile: praktisch kein toter Winkel mehr dank Weitwinkel, einfacher Wechsel der Perspektive und dank virtueller Schwenkfunktion ein perfekter Blick bis zum Ende des Aufliegers beim Kurvenfahren. Das erleichtert dem Fahrer die Einschätzung des Kurvenradius und verhindert, dass sich dort doch ein anderer Verkehrsteilnehmer unerkannt hinschmuggelt.