Ist der Polo-Bruder gebraucht besser als neu?
Die Kunst des Kleinwagens ist, keinerlei Verzicht spürbar zu machen. Das Resultat wird in Autotexten dann gern als "erwachsen" bezeichnet. Ein Musterbeispiel dafür ist der aktuelle Seat Ibiza, gerade als vernünftiger Gebrauchtwagen.
Es ist eine Welt, in der die Grenzen zwischen den Fahrzeugsegmenten zunehmend verschwimmen. Einst klar definierte Kleinwagen präsentieren sich heute mit Dimensionen und Komforteigenschaften, die noch vor wenigen Jahren der Kompaktklasse vorbehalten waren. Zu dieser Transformation trug von Generation zu Generation auch der Seat Ibiza bei. Mit dem Seat Ibiza V, gebaut seit 2017 und intern als Typ 6F bezeichnet, markierte die spanische VW-Tochter einen wichtigen Punkt im Kleinwagen-Portfolio des VW-Konzerns. Er ist das erste Modell, das auf der damals neuen MQB-A0-Plattform aufbaute. Seine Weltpremiere feierte der Ibiza V auf dem 87. Genfer Auto-Salon, nachdem er am 31. Januar 2017 in Barcelona vorgestellt wurde, und eroberte den Markt ab dem 10. Juni 2017. Im Vergleich zum Vorgängermodell Ibiza IV wuchs die fünfte Generation nicht nur in der Länge, sondern vor allem in der Breite um beachtliche 8,7 Zentimeter und legte beim Radstand um 9,5 Zentimeter zu. Diese veränderten Proportionen haben entscheidend dazu beigetragen, dass der Ibiza V, ähnlich wie sein technischer Zwilling VW Polo, ein Raumangebot offeriert, das manchem potenziellen Käufer die Frage aufwirft, ob ein größeres Fahrzeug überhaupt noch notwendig ist. Insbesondere als Gebrauchtwagen rückt der Ibiza V damit ins Blickfeld von Interessenten, die ein erwachsenes Fahrerlebnis suchen, ohne dafür tief in die Tasche greifen zu müssen. Hier sind fünf Gründe, die für den Spanier sprechen.
1. Qualität und Platzangebot
Der Seat Ibiza V hat sich, passend zu seiner "erwachsenen" Anmutung, in seinen Dimensionen deutlich gestreckt und verbreitert. Diese Evolution ist nicht nur auf dem Papier spürbar, sondern manifestiert sich in einem bemerkenswert geräumigen Innenraum. Im Vergleich zu seinem Vorgänger, dem Ibiza IV, bietet der Fünftürer dank der gewachsenen Breite von 8,7 cm und einem um 9,5 cm verlängerten Radstand spürbar mehr Platz. Wer den Blick weiter schweifen lässt und den technischen Verwandten, den VW Polo der sechsten Generation, als Referenz heranzieht, findet dort ähnliche Raumwunder. Beide bieten in etwa so viel umbauten Raum wie einst der Golf IV, bei dem schon seinerzeit niemand so recht über Platzprobleme klagte. Man sitzt angemessen ungedrängt, und kürzere Reisen sind selbst zu viert problemlos denkbar. Bedauerlicherweise wird die Kombi-Variante ST in der fünften Generation des Ibiza nicht mehr angeboten, gleiches gilt für den Dreitürer; das Modell ist ausschließlich als Fünftürer erhältlich. Diese Fokussierung ist jedoch kein Manko, sondern spiegelt vielmehr die Entwicklung des Marktes wider und erlaubt zumindest die bestmögliche Nutzung des verfügbaren Raums. Das Ladevolumen liegt bei 355 bis 1.165 Litern – vollkommen ausreichend für Wochenendtrips und Familieneinkäufe. Die Karosserie des in Martorell, Spanien, gebauten Ibiza ist nicht nur sauber verarbeitet, sondern, wie beim technisch identischen Polo, auch sehr rostresistent. Bläschenbildung wäre hier ein starkes Indiz für unsachgemäß reparierte Unfallschäden oder extremen Pflegemangel. So sehen die meisten Exemplare auch auf der Hebebühne gut aus. Gesteigerte Aufmerksamkeit verdienen allenfalls die typischen weißen Buchhalterexemplare mit unzähligen Bordsteinkratzern an den Rädern – die Rede ist von Fuhrparkautos von Liefer- und Pflegediensten.
2. Robuste und vielseitige Motorisierungen
Wunderbar simpel fällt das Motorenkapitel zum Seat Ibiza aus. Nach der Steuerkettenproblematik, die der Vorgänger noch durchleben musste, gelten alle im Ibiza V erhältlichen Triebwerke als problemlos. Die Palette der Ottomotoren reicht von 1,0 bis 1,5 Litern Hubraum und deckt ein Leistungsspektrum von 48 kW (65 PS) bis 110 kW (150 PS) ab. Für den Alltag und die meisten Fahrprofile erweist sich der Dreizylinder-1,0-TSI mit 95 PS als die am weitesten verbreitete und unkomplizierteste Option. Er läuft im Stand fast unmerklich und bietet ein maximales Drehmoment von 160 Nm, das bereits bei niedrigen Drehzahlen anliegt. Wer etwas mehr Fahrfreude bei kaum höheren Kosten sucht, wird mit den 110- oder 115-PS-Varianten des 1.0 EcoTSI fündig, die ein Drehmoment von bis zu 200 Nm liefern. Für Leistungsenthusiasten stand zweieinhalb Jahre lang der 1,5 TSI mit 110 kW (150 PS) zur Verfügung, der mit 250 Nm Drehmoment überzeugte und den Ibiza in 7,9 Sekunden von 0 auf 100 km/h beschleunigte. Auch Saugmotoren mit 65 bis 80 PS sind erhältlich, bieten aber sogar mit dem geringen Leergewicht der Basismodelle (knapp 1.100 Kilo) spürbar weniger Spritzigkeit als in kleineren Fahrzeugen.
Im Bereich der Dieselmotoren bietet der Ibiza V ausschließlich 1,6-Liter-Aggregate mit SCR-Speichertechnik (Harnstoff-Einspritzung), die Leistungen von 59 kW (80 PS) bis 85 kW (115 PS) erbringen. Diese 1.6 TDI-Motoren (VW EA288) sind wahre Dauerläufer und ein Garant für erstklassige Verbräuche, besonders für Langstreckenfahrer. Mit einem maximalen Drehmoment von 230 Nm bis 250 Nm ermöglichen sie trotz überschaubarer Leistung ein angemessenes Vorankommen und sind auf langen Strecken ausgesprochen sparsam im Verbrauch. Der Haken: Jegliche Dieseloption wurde Mitte 2020 aus dem Programm genommen. Gerade für Berufspendler ist das schade, da der souveräne Vierzylinder-Diesel mit seinem Sparverbrauch ganz hervorragend zum Vollwert-Kleinwagen passt. Entsprechend rar und begehrt sind Gebrauchte.
3. Das ausgereifte Fahrwerk und die agile Fahrdynamik
Der Seat Ibiza V profitiert maßgeblich von der neuen MQB-A0-Plattform, die ihm nicht nur mehr Raum, sondern auch eine verbesserte Fahrdynamik beschert. Sein im Vergleich zum Vorgänger um 9,5 cm verlängerter Radstand und die um 8,7 cm gewachsene Breite sind wesentliche Garanten für eine ausgezeichnete Straßenlage. Die Fahrwerksabstimmung des Ibiza V ist, ähnlich wie beim Polo, verhältnismäßig straff geraten. Dies mag auf stark vernachlässigten Straßen zu einer gewissen Rumpeligkeit führen, ist aber gleichzeitig der Schlüssel für Bestwerte in Dynamiktests und ein sehr zackiges und direktes Fahrverhalten. Die Lenkung ist VW-typisch direkt und leichtgängig, was das Rangieren im Stadtverkehr erleichtert und auf kurvigen Landstraßen für Agilität sorgt. Während das Fahrwerk Feinheiten zuverlässig absorbiert, können Holperpisten dennoch eine gewisse Unruhe erzeugen, die über das Niveau des Vorgängers oder des größeren VW Golf hinausgeht. Auch in puncto Geräuschdämmung fällt auf schlechten Straßen auf, dass der Ibiza doch "nur" ein Kleinwagen ist, da Fahrgeräusche bei tiefster Stellung des variablen Ladebodens durch die Zwangsentlüftung dringen können. Nichtsdestotrotz überwiegen die Vorteile eines Fahrwerks, das eine gute Balance zwischen Komfort und Sportlichkeit findet und den Ibiza V zu einem echten Kurvenkünstler macht.
4. Hochwertige Verarbeitung und ansprechendes Interieur
Das Bessere ist des Guten Feind. So deklassierte die aktuelle Ibiza-Generation zu ihrem Debüt Vorgänger und manche Konkurrenten mit einem Innenraum, dessen Qualitätsniveau auch für größere Klassen locker ausreichen würde. Dabei geht's nicht zwingend darum, dass in besonderem Maße auf Hartplastik verzichtet worden wäre, sondern, dass dank blitzsauberer Verarbeitung nirgends der Anschein irgendeiner Sparmaßnahme sichtbar wird. Hinzu kommt eine stilsichere Auswahl von farbigen Zierteilen für Modebewusste, und die mittlerweile abgelöste großartige VW-Bedienbarkeit für Technikverliebte. Und genau hier kommt der Haken: Zum Facelift wurde der Ibiza auf das aktuelle Konzern-Infotainment umgestellt. Dabei gewann er kaum an Funktionalität, nervt aber nachhaltig mit verquaster Bedienung und Ausfällen des Zentralbildschirms. Wichtige Bedienelemente wurden von sauberen Tasten- und Knopflösungen auf schlecht gemachte Touchelemente reduziert. Die obere Hälfte des Armaturenträgers wurde von horizontalen Lüftungsdüsen auf drehbare runde Lüfter umgestellt, wobei auch das Qualitätsgefühl nicht unbedingt profitierte. Weil sie zudem billiger sind, raten wir zu Vorfacelift-Exemplaren mit dem schlicht besseren Innenraum.
5. Das mittlerweile ausgereifte Doppelkupplungsgetriebe
Für viele Fahrer ist selbst im Kleinwagen eine Automatik nicht mehr wegzudenken. Im Ibiza handelt es sich konzerntypisch um das Doppelkupplungsgetriebe DSG. Während frühe DSG-Generationen für Probleme sorgten, hat die Technik im Lauf der Jahre einen hohen Reifegrad erreicht. Im Ibiza V, wie auch im Polo, sind Beanstandungen selten geworden. Das DSG schaltet vorzüglich, und auch das Anfahren gelingt ohne "Bocksprünge". Es ermöglicht nicht nur komfortables Fahren im Stadtverkehr, sondern trägt auch zu einer effizienten Leistungsentfaltung, gerade bei den Benzinern bei. Kontrolliert werden sollte hier allein der korrekte Ölstand und Ölzustand (Wechsel alle 60.000 Kilometer) und der eigene Fahrstil. Ständiges herumschleifen mag ein DSG ebenso wenig wie ein Schaltgetriebe. Apropos: Selbstverständlich sind die meisten Motoren im Ibiza auch als Schalter zu haben, den wir vollumfänglich empfehlen und zum Teil trotz der DSG-Lobhudelei bevorzügen würden. Aber: Die Menge an gebrauchten Ibiza mit DSG ist gerade für Kleinwagen überraschend groß.
Und was ist schlecht? Typische Mängel
Trotz seiner vielen Vorzüge und der soliden technischen Basis ist auch der Seat Ibiza V als Gebrauchtwagen nicht vollkommen frei von potenziellen Schwachstellen. Er ist generell zuverlässig, und über die Motoren sind kaum Klagen bekannt. Die Sorgen der Besitzer konzentrieren sich jedoch meist auf die Elektronik und ihre Peripherie, ein Thema, das der Ibiza mit seinem technischen Bruder Polo teilt. Der Bildschirm des Navigationssystems kann gelegentlich "Läufer", Streifen oder einen blauen Bildschirm zeigen. Auch Abstürze des Systems, die willkürliche Berechnung abstruser Routen oder falscher Uhrzeiten kommen vor. Ein Software-Update kann hier Abhilfe schaffen. Weitere elektronische Probleme können eine nicht funktionierende kabellose Handy-Ladefunktion, ein Abstandstempomat, der sich gern und oft zu einer Vollbremsung hinreißen lässt, eine leuchtende Airbaglampe oder Empfangsprobleme beim Radio umfassen. Diese Mängel sind zwar in der Regel nicht gravierend, können aber lästig sein. Bedauerlicherweise konnten diese Problemchen auch mit dem Facelift nicht vollständig behoben werden; im Gegenteil, die neue Software, die auch im Golf VIII zum Einsatz kommt, neigt sogar zu Totalabstürzen. Ein einfacher, aber hilfreicher Rat für Gebrauchtwagenkäufer ist, Exemplare mit einem Lautstärkedrehregler zu bevorzugen, da dies auch Unzuverlässigkeiten vorbeugen kann. Abseits der Elektronik sind weitere typische "VW-Baukasten"-Probleme wie defekte Sensoren oder undichte Ladeluftkühler oder Klimakondensatoren zu nennen. Gelegentlich können auch Undichtigkeiten in der Spritzwasserzufuhr für die Heckscheibe auftreten. Es ist wichtig, bei der Besichtigung auf solche Details zu achten und, wenn möglich, die Wartungshistorie genau zu prüfen, um bösen Überraschungen vorzubeugen.