Der unbequeme Präsident
Max Mosley war Rennfahrer, Teamchef, Rädelsführer im Formel 1-Krieg der 80er Jahre, Kompagnon von Bernie Ecclestone, FIA-Präsident und streitbarer Anwalt in eigener Sache. Er verabschiedete sich mit einem Skandal aus dem Motorsport. Mosley starb am Montag (24.5.) im Alter von 81 Jahren.
Der Motorsport ist um einen seiner genialsten Köpfe ärmer. Max Mosley starb in der Nacht zum 24. Mai nach einem langen Kampf gegen den Krebs. Man hatte ihn zuletzt immer seltener in der Öffentlichkeit gesehen. Auch mit Interviews machte sich der Engländer, der 81 Jahre alt wurde, zuletzt rar. Dabei hatte er so viel zu erzählen.
Mosley war der FIA-Präsident, der die F1-Sicherheitskampagne anschob, von der später so viele Rennfahrer profitieren sollten. Er war der erste, der versuchte die Kosten in den Griff zu bekommen und von einer Budgetdeckelung redete, als viele das Wort noch für eine romantische Spinnerei hielten. Und er erkannte früher als andere, dass der Sport sich nachhaltige Technologien an seine Fahnen heften musste, wenn er politisch überleben wollte. Sein Nachfolger Jean Todt setzte viele von Mosleys Visionen um.
Zusammen mit Bernie Ecclestone regierte Mosley 30 Jahre lang die Formel 1. Zuerst als sein juristischer Berater in der Konfrontation mit Veranstaltern, Behörden, TV-Anstalten und Werksteams. Später als FIA-Präsident und Regelmacher für einen Sport, in dem sein Kompagnon finanziell die Fäden zog.
Die beiden ergänzten sich perfekt. Der eine gab die Vorlage, der andere verwandelte sie. Was Bernie brauchte, um die Formel 1 zu einem Premiumsport aufzubauen, goss Max in ein Reglement. Man scherte sich nicht viel um Diplomatie und das Geschrei der Öffentlichkeit. Was die beiden wollten, war Gesetz.
Der beste Premierminister
Bernie Ecclestone hat einmal gesagt, dass Max Mosley Englands bester Premierminister nach Sir Winston Churchill geworden wäre. Wenn man ihn nur gelassen hätte. Wahrscheinlich hatte Bernie mit seiner Einschätzung Recht. Max Mosley war ein Politiker wie aus dem Bilderbuch, blitzgescheit, eloquent und weltoffen. Ein brillanter Taktiker, der seinen Gegnern meistens einen Schritt voraus war.
Auf dem Weg in die hohe Politik stand ihm vor allem seine Herkunft im Weg. Max Mosley war der Sohn des englischen Faschistenführers Sir Oswald Mosley und Lady Diana. Es heißt, dass bei der geheimen Hochzeit seiner Eltern in Berlin auch die Nazi-Größen Adolf Hitler und Joseph Goebbels anwesend waren. Derart vorbelastet konnte man auf dem politischen Parkett keine Karriere machen.
Vielleicht wäre Mosley auch an seinen Überzeugungen gescheitert. Er boxte seine Meinung auch gegen öffentlichen Widerstand durch. Und er war nie der Typ, der für Wählerstimmen sich hätte verbiegen lassen. In der Sache blieb er immer hart.
Vom Rennfahrer zum Teamchef
Ecclestone und Mosley lernten sich 1968 kennen. Mosley investierte 5.000 Pfund aus der eigenen Tasche, um eine Formel-2-Saison zu fahren. Ecclestone betrieb mit Jochen Rindt einen Rennstall. Die Rennfahrerkarriere war schnell beendet. Der junge Akademiker dachte zu viel nach.
"Ich fand es damals sehr schwierig auf der alten Strecke von Monza die Curva Grande mit einem Formel-2-Auto voll zu fahren. Rindt fragte mich warum. Ich sagte ihm, dass ich mir immer vorstelle, ich würde auf einem Ölfleck ausrutschen und mit 260 km/h in den Bäumen landen. Rindt hat mir geantwortet: Wenn du solche Gedanken hast, solltest du nicht Rennfahrer werden. Er hatte Recht."
Mosley sattelte um, tat das, was er besser konnte. Sein Platz war diesseits der Boxenmauer. Zusammen mit drei Freunden gründete er 1969 die Firma March. Ziemlich blauäugig, wie sich der damals 30-jährige Jurist amüsiert erinnerte. "Es war die Sorte Risiko, die du nur eingehst, wenn du jung bist. Mit dem Kapital, das wir hatten, war es absolut verrückt. Wir hatten gerade mal 10.000 Pfund als wir anfingen."
Normalerweise wäre March in der ersten Saison pleite gegangen. Der damalige Ford-Rennleiter Walter Hayes rettete die jungen Unternehmer. Er rief mich in sein Büro und sagte zu mir: Du verkaufst deine Autos für 6.000 Pfund an Ken Tyrrell. Wenn du überleben willst, musst du ihm 9.000 Pfund berechnen. Ich habe geantwortet, dass ich mit Tyrrell bereits einen Vertrag gemacht hätte. Hayes hat das dann für uns geregelt." Das Team hat ein ganzes Jahrzehnt überlebt, seine beiden Siege aber erst erzielt, als es schon wieder abwärts ging.
Krieg mit der FIA
Ein Jahr später saßen Mosley und Ecclestone im gleichen Boot. Ecclestone kaufte den Brabham-Rennstall und stritt nun mit seinen Kollegen um Start- und Preisgelder. Es war eine Zeit, in der keiner dem anderen traute und jeder sein eigenes Süppchen kochte. "Bernie hat alle unter einen Hut gebracht, und er wollte mich dabei haben, weil ich Anwalt war. Er dachte wohl, ich könnte ihm hilfreich sein", beschrieb Mosley die ersten gemeinsamen Gehversuche.
1977 verkaufte Mosley seine March-Anteile an Gründungsmitglied Robin Herd und kümmerte sich nun Vollzeit zusammen mit Ecclestone darum, aus der Formel 1 ein Geschäft zu machen. Die kommerziellen Interessen der Teams wurden ab 1974 in der Formula One Constructors Association (FOCA) vertreten. Ecclestone war ihr Chefbroker, Mosley der Rechtsbeistand.
Schon in der ersten gemeinsamen Sitzung wussten die beiden, dass sie das perfekte Team sein würden. "Keiner dachte so geradlinig wie Bernie", streute Mosley seinem Mitstreiter Rosen. Ecclestone retournierte: "In einem Rechtsstreit würde ich mir Max nicht auf der anderen Seite wünschen."
Als die Vereinigung der Konstrukteure der FIA zu mächtig wurde, kam es zum offenen Krieg zwischen der Pariser Sporthoheit und der FOCA, zwischen Herstellern und englischen Garagisten. Dem damaligen FIA-Präsidenten Jean-Marie Balestre wurden die beiden Engländer zu mächtig. Gewonnen hat am Ende keiner. Man einigte sich 1980 darauf Finanzen und Regularien weiter strikt zu getrennt zu halten. Balestre blieb offiziell Herr über das Reglement. Das Friedensabkommen wurde in das erste Concorde Abkommen gegossen, an dessen Konzept Mosley eine maßgebliche Rolle spielte.
Mit Bernies Hilfe nach Paris
Nach dieser Episode verschwand der findige Jurist für ein paar Jahre aus dem Sport um sich dort zu versuchen, wo er seine Berufung sah. Als klar war, dass in der konservativen Partei Englands seine Aufstiegschancen begrenzt waren, kehrte er zurück zu seinem Steckenpferd. Politik konnte man auch im Automobilsport machen. Man musste nur elegant die Seiten wechseln.
Mitte der 80er Jahre nistete er sich mit Hilfe von Ecclestone bei der FIA ein. Balestre hat seinem ehemaligen Widersacher gönnerhaft das Amt des Vize-Präsidenten angeboten, was er später noch bereuen sollte. Bernie ließ dem Präsidenten gerne das öffentliche Parkett und die großen Reden, wenn er dafür etwas mehr Einfluss auf die Regeln bekam, die ihm in seinen Plänen allzu oft im Weg standen. Dafür musste sein alter Kumpel im Feindesland installiert werden. Ab 1986 leitete Mosley bei der FIA die Herstellerkommission. Jetzt hatte man den Fuß in der Tür.
1991 trat Mosley gegen Balestre als Präsident der FISA, dem sportlichen Arm der Automobilbehörde an. Er machte sich dabei die vielen Ämterverflechtungen von Balestre zunutze, die mit den Statuten eigentlich nicht vereinbar waren. Der selbstherrliche Franzose unterschätzte seinen jüngeren Kontrahenten, der versprochen hatte das Amt nach einem Jahr wieder abzutreten und sich an seinen Leistungen messen zu lassen. Mosley wurde umgehend wiedergewählt und stieß seinen Gegner 1993 auch von Präsidententhron der FIA.
Gegen den Willen der Teams
Schon ein Jahr danach stand Mosley vor seiner ersten großen Herausforderung. Die tödlichen Unfälle von Imola forderten eine schnelle Reaktion der Behörde. Mosley antwortete mit einer radikalen technischen Abrüstung, was ihm den Zorn vieler Teams einbrachte. Es war der Beginn einer beispiellosen Sicherheitskampagne, bis heute nie zum Stillstand kam.
Nicht alle Maßnahmen ließen sich über Nacht erledigen, und mancher Vorschlag wurde auch wieder zurückgezogen. Doch Mosley drückte aufs Tempo, und das war neu. Die FIA war nicht mehr ein schwerfälliger Apparat, sondern eine Einmann-Show mit Komparsen seiner Wahl.
Mosley berief unter der Leitung von Professor Sid Watkins eine Kommission ein, die damit begann Unfälle wissenschaftlich zu erforschen. Nur wer den Unfall versteht, kann ihn verhindern oder wenigstens seine Folgen abmindern. Für den alten Gladiatorenmythos hatte Mosley nichts übrig: "Ich rate den Leuten, die das Risiko verherrlichen, dass sie mal auf eine Beerdigung gehen sollten. Es gibt nichts Schlimmeres als den Tod eines jungen Menschen durch den Sport zu erleben."
Den Teams wurde schnell klar, dass sie nun mit Mosley einen Präsidenten hatten, mit dem sie nicht mehr Schlitten fahren konnten. Als einer von ihnen, wusste er was er wollte und zog das auch ohne Rücksicht auf Verluste durch. Meistens mit entwaffnenden Argumenten. Egal ob er aus Sicherheitsgründen HANS einführte, als Sparmaßnahme den Parc Fermé zwischen Qualifikation und Rennen, im Sinne der Abrüstung Rillenreifen und V8-Motoren: Mosley legte sich mit allen und jedem an und blieb meistens der Sieger.
Es war seine Art, den Verlierern ihre Niederlage unter die Nase zu reiben. McLaren-Chef Ron Dennis wurde zu seinem Intimfeind. Mosley spottete: "Egal, was wir vorschlugen: Uns wurde immer gesagt: Das funktioniert nicht. Als wir die Lebenszeit der Motoren erhöht haben hieß es: Geht nicht. Als wir mit dem Getriebe das gleiche machen wollten, hieß es: unmöglich. Als wir den Parc Fermé zwischen Qualifikation und Rennen eingeführt haben, wurde mir gesagt: Die Autos werden im Rennen stehenbleiben. Das Gegenteil war der Fall."
News of the World-Skandal
Auch als die Automobilhersteller zu Beginn der 2000er Jahre von einer eigenen Serie träumten, standen Mosley und Ecclestone Seite an Seite. Erst 2006 war die Gefahr abgewendet, die laut Mosley nie wirklich eine war: "Es war eine Träumerei, die nicht gut gehen konnte. Die Hersteller hätten erst einmal Milliarden investieren müssen, um eine solche Serie zum Laufen zu bringen. Das war aber nicht ihr Kerngeschäft."
Mosleys vierte Amtszeit schürte neue Kontroversen. Der Engländer drohte den Teams mit einer Budgetdeckelung und der Einführung des Hybridantriebs. Aus den Reihen der Teilnehmer regte sich immer mehr Widerstand. Sie hatten offiziell eine Stimme, aber doch nichts zu sagen. Gegen die Allianz der beiden Granden gab es kein Rezept.
In diese aufgeheizte Stimmung platzte im März 2008 ein handfester Skandal. Der Präsident wurde bei einer Sex-Party mit fünf Prosituierten mit versteckter Kamera gefilmt. Die Fotos erschienen wenig später in Englands schlimmstem Boulevardblatt News of the World.
Der Präsident wackelte, aber er fiel nicht. Er wusste genau, wo seine Gegner in den Reihen der Teams saßen. Als BrawnGP 2009 den Favoriten mit dem Trick des Doppeldiffusors um die Ohren fuhr, ließ er den aus dem Honda-Erbe hervorgegangenen Rennstall gewähren. Der Technikcoup wurde amtlich als legal eingestuft. Eine letzte Retourkutsche gegen Ferrari, Renault und BMW, die an seinem Ast sägten.
Kampf um Rechtfertigung
Jeder andere hätte die Peinlichkeit zum Anlass genommen, sich aus allen öffentlichen Ämtern zurückzuziehen. Mosley ging in die Offensive, gab alles zu, bis auf den Vorwurf, er habe an einer Nazi-Orgie teilgenommen. Das oberste Gericht sah keine Beweise dafür. Es hagelte Unterlassungsklagen und Gegendarstellungen.
Obwohl allenthalben Mosleys Rücktritt gefordert wurde und sich viele Freunde von ihm abwandten, klammerte sich der Präsident an seinem Amt. So wollte er sich nicht vom Hof jagen lassen. Die Vertrauensfrage bei der FIA ging mit 103 zu 55 Stimmen zu seinen Gunsten aus.
Doch war bereits zu viel Porzellan zerschlagen. Die Teams gründeten eine eigene Interessensgemeinschaft und drängten Mosley im Sommer 2009 unter Federführung von Ferrari-Chef Luca di Montezemolo den Stuhl des Präsidenten zu räumen. Mosley wusste, dass seine Stunde geschlagen hatte. "Ich war politisch nicht mehr stark genug meine Ziele durchzudrücken."
Sogar Bernie Ecclestone stellte sich gegen seinen Freund und reihte sich in die Gruppe derer ein, die Mosley in seinen Funktionen für nicht mehr tragbar hielten. "Ich habe Max damals im Stich gelassen, weil ich unter dem Druck der FIA und den Sponsoren stand. Es war mein größter Fehler. Max hat es verstanden und mir verziehen."
Mosley machte es sich fortan zu seiner Lebensaufgabe, die zur Rechenschaft zu ziehen, die sein Privatleben ausgekundschaftet und an die Öffentlichkeit gezerrt hatten. Am 24. Juli 2008 entschied ein britisches Gericht, dass die News of the World mit ihrer Berichterstattung rechtswidrig in das Privatleben Mosleys eingegriffen habe. Die Zeitschrift aus dem Reich von Medienmogul Rupert Murdoch wurde 2011 als Folge verschiedener Abhörskandale eingestellt.
Mosley sicherte allen Klägern, die bis sich dahin gescheut hatten vor Gericht zu ziehen, finanziellen Beistand zu. Der streitbare Engländer ging auch gegen mehrere deutsche Medien und Suchmaschinenbetreiber Google erfolgreich vor. Als Folge seiner Kampagne wurden in England neue Gesetze zum Schutz der Persönlichkeitsrechte erlassen.
Mit Mosleys Tod endet ein Stück Motorsportgeschichte, Bernie Ecclestone sprach davon "ein Familienmitglied, ja einen Bruder verloren zu haben". Der eine konnte sich auf den anderen verlassen. "Wir haben uns blind verstanden, auch wenn wir mal nicht einer Meinung waren. Mit Max konnte man wunderbar diskutieren. Er war der hellste Kopf, der mir jemals begegnet ist."