Zweite Flutlicht-Party in Rot?
Als zweites Rennen der Saison steht der Grand Prix von Saudi-Arabien auf dem Formel-1-Plan. Kann Ferrari erneut unter Flutlicht feiern. Oder schlägt die Konkurrenz zurück? In der Vorschau haben wir die letzten Infos zum Nachtrennen in Jeddah.
Nur sieben Tage nach dem fulminanten Auftakt in Bahrain geht die Vollgas-Sause in Saudi-Arabien direkt in die zweite Runde. Vom kleinen Königreich im Golf geht einmal quer über die arabische Halbinsel ans Rote Meer. Zwischen den beiden Grand-Prix-Strecken liegen 1.200 Kilometer Luftlinie, die vor allem aus einer kargen Wüstenlandschaft bestehen. Doch beim Rennen am Sonntag (27.3.) ist von der Umgebung nicht viel zu sehen. Wie schon beim Saisonstart gehen die Lichter der Startampel erst aus, wenn die Sonne hinter dem Horizont verschwunden ist.
Vor dem zweiten Teil des Flutlicht-Doppelschlags zum Start in die neue Formel-1-Ära fragen sich natürlich viele Fans, wie lange Ferrari von seinem Vorsprung zehren kann. Charles Leclerc hatte beim ersten Auftritt mit dem F1-75 eine blitzsaubere Leistung mit Pole Position, schnellster Rennrunde und Sieg abgeliefert. Dank des PS-Vorsprungs des Ferrari-Motors und der begrenzten Zeit für die Konkurrenz, Probleme zu beheben, spricht in der Theorie nicht viel gegen eine Wiederholung der Scuderia-Party.
Das Streckenlayout könnte allerdings einige Überraschungen bereithalten. Nach Barcelona und Bahrain geht es jetzt erstmals auf eine richtig schnelle Strecke, auf der maximaler Abtrieb deutlich weniger zählt als ein geringer Luftwiderstand. Mangels Erfahrungswerten kann keiner genau sagen, wie gut die zehn neuen Autos auf der im Vorjahr gebauten Highspeed-Piste funktionieren. Auch das Thema Kühlung der Motoren und der Bremsen dürfte wieder ein Thema werden. Auch nach Sonnenuntergang fallen die Temperaturen nicht weit unter die 30°C-Marke.
Die Strecke: Jeddah Corniche Circuit
Der Jeddah Corniche Circuit, der rund zwölf Kilometer vom Stadtzentrum entfernt liegt, wurde im vergangenen Jahr in nicht einmal zwölf Monaten Bauzeit aus dem Boden gestampft. Es handelt sich zwar um einen temporären Stadtkurs, doch im Prinzip musste alles neu errichtet und verlegt werden. Der Asphalt. Die Gebäude wie die Boxenanlage. Die Tribünen. Die Drainage rund um die über sechs Kilometer lange Rennstrecke.
Für das Strecken-Design waren zwei alte Bekannte verantwortlich: Hermann Tilke und sein Sohn Carsten. Die Vorgabe: Es sollte kein typischer Stadtkurs mit 90-Grad-Ecken entstehen, sondern eine schnelle Rennstrecke. Was noch wichtig war: Überholen soll in Jeddah möglich sein. Um nachzuhelfen, richtet die FIA drei DRS-Zonen ein. Sie befinden sich auf der Zielgerade (T27-1), sowie zwischen den Kurven 20 und 22 sowie 25 und 27. Bei der Premiere im Jahr 2021 konnten die Statistiker immerhin 27 Überholmanöver zählen.
Der Jeddah Corniche Circuit ist der zweitlängste GP-Kurs im Rennkalender nach Spa-Francorchamps. Über die 6,174 Kilometer verteilen sich 27 Kurven. Mehr als auf jeder anderen Rennstrecke. 16 davon gehen links herum, elf nach rechts. Wirklich langsame Ecken gibt es nicht. Auslaufzonen sind Mangelware. Das erhöht bei einem Unfall die Wahrscheinlichkeit auf ein Safety Car oder gar eine Unterbrechung. Im Vorjahr mussten die roten Flaggen gleich zwei Mal im Rennen geschwenkt werden.
Rund um die Strecke stehen 3.000 Tecpro-Schutzmauern, um entgleiste Autos abzufedern. Ansonsten sind noch 3.300 Betonelemente verteilt. 13 Kilometer an Fangzäunen sollen herumfliegende Teile von den Tribünen abhalten. In Summe verbauten die Streckenarbeiter mehr als 37.000 Tonnen Asphalt. Und sie verlegten mehr als 20 Kilometer an elektrischen Kabeln. Jeddah ist eines von vier Nachtrennen. Deshalb wird die Strecke neben Flutlichtern an Gebäuden und Brücken auch von mehr als 600 Leuchtmasten beleuchtet.
Fast Facts
- Streckenlänge: 6,174 Kilometer
- Rundenzahl: 50
- Renndistanz: 308,45 Kilometer
- Anzahl Kurven: 27 (11 rechts / 16 links)
- Distanz Pole Position bis erste Bremszone: 230 Meter
- Länge der Boxengasse: 338 Meter
- Vollgas-Anteil (Rundenzeit): 74 Prozent (Distanz: 80 %)
- Top-Speed: 320 km/h
- DRS-Zonen: 3 (T27-1, T20-22, T25-27)
- Safety-Car-Wahrscheinlichkeit: 100% (1/1)
- Reifenwahl: C2, C3 & C4
Setup
In Bahrain waren wenigstens im Mittelsektor noch ein paar langsame Kurven versteckt. Auf dem flüssigen Highspeed-Kurs von Saudi-Arabien müssen die Ingenieure die Flügel noch flacher stellen. Die Vollgas-Passagen mixen sich mit schnellen Kurven. Zu viel Luftwiderstand würde zu viel Rundenzeit kosten. Viele der Kurven werden auf Anschlag, sprich unter Volllast, durchfahren. Die Telemetrie zeigt, dass die Fahrer auf 4.877 der 6.174 Meter voll auf dem Gas stehen werden. Einer der höchsten Werte des Jahres. Die Strecke konkurriert hier mit Spa und Monza.
Nach nur einem Jeddah-Grand-Prix mit den alten Autos ist die Datenlage relativ dünn. Die Teams müssen sich beim Grund-Setup auf ihre Simulationen verlassen. Am Rennwochenende heißt es dann: schnell verstehen, schnell lernen, schnell umsetzen. Dabei müssen die Teams die Entwicklung der Rennstrecke einbeziehen. Im ersten Training zeigte sich die Strecke im Vorjahr noch sehr sandig. Da kann man sich bei Setup-Änderungen schnell verzetteln, weil die Piste von Runde zu Runde schneller wird. Hilfreich ist das Rahmenprogramm aus Formel 2 und Porsche-Challenge, um die Oberfläche zu säubern und Gummi zu legen.
Das erste und das dritte Training beginnen wie in Bahrain vor Sonnenuntergang. Sie sind also nicht ganz repräsentativ, was die Asphalttemperaturen angeht. Die entscheidenden Sessions – Qualifikation und Rennen – finden ausschließlich unter Kunstlicht statt. Bei der Vorbereitung wird also vor allem das zweite Training aufschlussreich. Reifenlieferant Pirelli ist eine Spur aggressiver als zuletzt in Bahrain. Es kommen die drei mittelharten Mischungen C2, C3 und C4 zum Einsatz.
Upgrades
Wir erwarten nicht viele Neuigkeiten an der Technikfront. Wer etwas für den arabischen Doppelschlag im Köcher hatte, wird es schon in Bahrain ausgepackt haben. Die Budget-Obergrenze verhindert, dass die Autos bei jedem Rennen mit größeren Upgrade-Paketen bestückt werden. Nur im Bereich der Unterboden-Kante können wir uns kleinere Retuschen vorstellen, mit denen das Bouncing auf den langen Geraden gelindert werden soll. Davon gibt es in Jeddah bekanntlich genug.
Bei McLaren wird man sicher noch einmal an den Bremshutzen vorne nachlegen. Zwischen den Testfahrten und dem Rennen Bahrain blieb nur Zeit für eine Notlösung, um die Überhitzung der Carbon-Stopper zu lindern. Die Teile haben aber offenbar nicht optimal mit der Aerodynamik des restlichen Autos harmoniert. Wollen Lando Norris und Daniel Ricciardo um Punkte kämpfen, muss hier schnell nachgelegt werden.
Ein weiteres Update betrifft die Strecke selbst. Die letzte Kurve und der Eingang zur Zielgerade wurden in der Winterpause erweitert. In den Kurven 2, 3, 14 und 21 wurden die Streckenbegrenzungen zwischen anderthalb und zwei Metern nach außen geschoben, um den Fahrern einen weiteren Blick nach vorne zu ermöglichen. Für die Kurven 4, 16, 22 und 24 haben sich die Piloten außerdem gewünscht, dass die Betonelemente auf der Innenseite verkleidet werden, damit kleinere Streifschüsse nicht zu schweren Unfällen führen. Die Veranstalter haben hier nun ein glattes Metallband auf Höhe der Räder angebracht.
Favoriten
Je mehr Motorleistung, desto besser für Jeddah. Das bringt Ferrari in die Favoritenrolle. GPS-Messungen in Bahrain haben gezeigt, dass die Scuderia im Winter den besten Job in puncto Antrieb gemacht hat. Trotz Beimischung von 10 Prozent Biosprit konnte die Leistung sogar noch erhöht werden. Dazu kommt das gutmütige Auto, das Fahrer und Ingenieure in Barcelona und Bahrain ausgiebig getestet haben. Das war am Ende der Schlüssel zum Doppelsieg in Bahrain.
Red Bull war beim Auftakt in Sachen Pace nicht weit entfernt. Max Verstappen hielt sich lange in Schlagdistanz zu Sieger Charles Leclerc. Wir sind gespannt, ob der Holländer die roten Autos erneut unter Druck setzen kann. Ein Fragezeichen schwebt noch über der Zuverlässigkeit des RB18. Die Suche nach dem Grund für die Probleme mit der Benzinzufuhr in den Schlussrunden gestaltete sich schwieriger als erwartet. Hier muss in kurzer Zeit eine Lösung her.
Nachrüsten müsste man auch bei Mercedes. Der Rückstand der Silberpfeile war in Bahrain aber zu groß, als dass man ihn in nur sieben Tagen wettmachen kann. Für Lewis Hamilton und George Russell kommt es wieder darauf an, das restliche Mittelfeld hinter sich zu halten und Schadensbegrenzung zu betreiben. Vor allem Valtteri Bottas im Alfa Romeo und Kevin Magnussen im Haas machten den Silberpfeilen das Leben schwer. Mit dem starken Ferrari-Motor muss man die Kundenautos auch in Jeddah auf dem Zettel haben.
Da wir noch nicht viel Erfahrung mit den neuen Autos haben, ist es schwer, genauere Vorhersagen über die Reihenfolge im Mittelfeld zu wagen. Auch Alpha Tauri und Alpine gehören sicher wieder zu den Punktekandidaten. Nach den Eindrücken von Bahrain wird es für Williams, Aston Martin und McLaren dagegen schwer, etwas Zählbares mitzunehmen.
So lief das Rennen im Vorjahr
Bei der Saudi-Arabien-Premieren im Jahr 2021 war die Spannung noch größer, als in diesem Jahr. Lewis Hamilton und Max Verstappen befanden sich in der heißen Phase ihres WM-Kampfs. Dass auf der Piste hart gekämpft werde würde, konnte man schon vorher erwarten. Dass das Duell am Ende komplett eskalierte, überraschte dann aber doch. Die beiden WM-Rivalen gerieten in einer aufgeheizten Atmosphäre mit zwei Unterbrechungen, drei stehenden Starts und vielen Kollisionen mehrfach aneinander.
Es kam sogar zum direkten Kontakt zwischen den beiden Streihähnen. Die Rennleitung hatte Verstappen nach einem aggressiven Manöver angewiesen, die Spitzenposition an Hamilton zurückzugeben. Doch als der Red Bull verlangsamte, traute sich Hamilton zunächst nicht vorbei. Und als der Brite dann doch vorbeigehen wollte, stieg Verstappen auf die Bremse, was zu einem Auffahrunfall führte. Wie durch ein Wunder konnten beide Piloten die Fahrt fortsetzen.
Obwohl Hamiltons Fahrzeug stärker beschädigt schien, konnte er sich in einem spannenden Schlussspurt durchsetzen und mit seinem Sieg in der Punktewertung ausgleichen. Auch im Kampf um den dritten Platz auf dem Podium wurde es spannend. Valtteri Bottas konnte sich mit einem Last-Minute-Manöver den Bronze-Platz sichern. Im Schlussspurt bis zur Ziellinie beschleunigte der Finne Esteban Ocon aus. Beide Autos trennte am Ende nur ein gutes Zehntel. In der Galerie zeigen wir Ihnen noch einmal die Highlights eines verrückten Rennens.
Zeitplan GP Saudi Arabien 2022
Wie bereits erwähnt, werden die wichtigen Sessions in Jeddah erst nach Sonnenuntergang gestartet. Weil in Deutschland am Wochenende die Uhren auf Sommerzeit umgestellt werden, beginnen Qualifying (18 Uhr) und Rennen (19 Uhr) hier zu unterschiedlichen Zeiten.